VatiLeaksII: „Lieber keine Regeln befolgen“

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Inkompetenz, Vetternwirtschaft, Machenschaften – die soeben erschienenen Bücher der Journalisten Nuzzi und Fittipaldi geben erschreckende Einblicke in die Gebarung des Vatikans.

Rom. Der Brief, den Papst Franziskus vor zehn Tagen ausschickte – und den der Vatikan gegen alle Usancen auch noch veröffentlichte –, war ein Alarmzeichen. Und eine Abmahnung. Seinem „zweiten Mann“, dem Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, brachte Franziskus in Erinnerung, dass „auch in der aktuellen Zeit des Übergangs die Gesetze nicht außer Kraft gesetzt sind“. Die Kurie müsse „sich bei der Aufnahme und der Versetzung von Personal an die Stellenpläne halten. Andere Kriterien gelten nicht.“

Mit anderen Worten: Der Papst sah sich zu seinem „unverzüglichen Eingreifen“ genötigt. Grund war, dass in der römischen Kirchenleitung offenbar einige Behördenchefs ihre Schäfchen ins Trockene bringen und ihre Freunde mit dauerhaften Posten versorgen wollten, bevor die von Franziskus seit zwei Jahren vorbereitete Kurienreform sie in ihrer Macht beschränkt.

Wieder einmal sind die Kurienbehörden dabei, ihre Stellen ohne Rücksicht auf die Finanzen zu vermehren – Zustände also wie eh und je, wie zum Hohn auf einen Papst, der Erneuerung will, und der schon im Juli 2013 warnte: „Unsere Kosten sind aus dem Ruder gelaufen; die Personalvermehrung im Vatikan führt zu gewaltiger Geldverschwendung; Transparenz fehlt. Wenn wir nicht auf unser Geld aufpassen können, das man sieht – wie sollen wir dann die Seelen der Gläubigen hüten, die man nicht sehen kann?“

Brandrede des Papstes

Diese Zitate sollen aus einer 16-minütigen, kurieninternen Brandrede des Papstes stammen. Sie stehen am Anfang des heute, Donnerstag, erscheinenden Enthüllungsbuches „Alles muss ans Licht“ des italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi. Das 380-Seiten-Werk speist sich, wie das gleichzeitig veröffentlichte Parallelwerk von Emiliano Fittipaldi („Avarizia – Geiz“) aus den vertraulichen Papieren der Cosea, jener Untersuchungskommission, mit der Franziskus seit Juli 2013 den Finanz- und Verwaltungsdschungel durchleuchten wollte. Da kommt heraus, dass die „Ministerien“ der Kirchenleitung keine Ahnung von Haushaltsplanung haben, dass – mindestens – 94 Millionen Euro abseits der offizielle Etats auf undurchsichtige Weise geparkt oder verwaltet werden, dass Millionen verloren gehen durch ungeschickte Investitionen, durch Klientelismus, durch Schlamperei und wohl auch durch kriminelle Machenschaften. Das Kinderkrankenhaus Bambino Gesù, das größte auf italienischem Boden, habe „seit 2006 keine Abrechnungen vorgelegt“, kritisiert die Kommission schon im Jahr 2014.

Bitter schrieb der maltesische Cosea-Chef, Joseph Zahra, an Franziskus: „Das Grundproblem ist, dass es zwar Verfahren gibt, diese aber nicht angewendet werden. Lieber bleibt man bei der gängigen Praxis, als sich an Regeln zu halten.“ Die internationale Revisorengruppe, die Nuzzi zitiert, befürchtet „eine sehr ungünstige Entwicklung“ für den Vatikan angesichts des „ernsthaften strukturellen Defizits“. Es droht also die Pleite.

Dieser Befund ist gut zwei Jahre alt. Nuzzi und Fittipaldi beschreiben anhand der ihnen „in einer ganzen Autoladung“ zugespielten Dokumente die Schwierigkeit der Kommission, gegen den anhaltenden Widerstand führender Kurienkardinäle überhaupt an Zahlen zu kommen. Dafür ist das, was auftaucht, umso beschämender.

5050 römische Wohnungen oder Geschäftslokale beispielsweise gehören der vatikanischen Güterverwaltung Apsa, aber weil sich – jenseits der kostenlosen Dienstwohnungen, die den Kardinälen zustehen – keiner darum kümmert oder Vetternwirtschaft am Werk ist, gibt es Bewohner, die gar keine Miete zahlen oder ganze 51,65 Euro monatlich für 143 Quadratmeter in bester Citylage. 23,4 Millionen Euro nimmt die Apsa pro Jahr an Mieten (auch für Geschäftsbetriebe) ein, laut einer Studie der US-Wirtschaftsprüfer von Promontory, die auch sämtliche Konten bei der Vatikanbank IOR durchleuchtet haben, könnten es 82,8 Millionen sein.

Steuerbefreit und begünstigt

Oder: Im Vatikan zahlt man keine Steuern, bezahlt aber – von den billigen Zigaretten schon einmal ganz abgesehen – um 20 Prozent weniger für Benzin als außerhalb. Tankberechtigung haben die gut 800 Vatikanbürger und die 4800 Angestellten – an die Zapfsäulen kamen 2012 aber 27.000 Personen. Dem Betrug ist Tür und Tor geöffnet: Wer „im Auftrag des Vatikans“ – und wenn's ein angeblicher ist – in italienischen Geschäften einkauft, spart sich die Mehrwertsteuer und kann die Ware dann mit Gewinn auf privaten Kanälen weiterverkaufen.

Am meisten Kirchen- und Spendengeld wird offenbar bei der Vergabe für Bau- oder Serviceaufträge verschwendet, die immer an dieselben Firmen gehen, ohne Ausschreibung, ohne Prüfung, ob die Betriebe überhaupt geeignet sind. Oder in der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen: Da gibt es Anwälte, die Zehntausende von Euro für Aktenstudien in Rechnung stellen können, ohne dass nachgeprüft, belegt oder überhaupt ein Gesamtbudget erstellt würde.

All das, was Nuzzi und Fittipaldi in ihren Büchern ausbreiten, ist der Stand der Jahre 2013/14. Franziskus' jüngste Haushalts- und Disziplinwarnung aber stammt von Ende Oktober 2015. Trotz allen Reformwirbels scheint sich nicht viel geändert zu haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2015)

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