Varoufakis in Wien: „Es wird noch schlimmer für Griechenland“

AUSTRIA VAROUFAKIS PANEL DISCUSSION
AUSTRIA VAROUFAKIS PANEL DISCUSSION(c) APA/EPA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Der griechische Ex-Finanzminister sieht sein Land als Opfer eines wirtschaftsideologischen Konflikts zwischen Deutschland und Frankreich.

Wien. Verlässlich. Dieses Wort passt nach Einschätzung mancher politischer Gegner nicht zu Yanis Varoufakis. Aber er ist es. Er kommt fast pünktlich zum vereinbarten Frühstück ins Café Korb, hat das gleiche Outfit an wie bei den Verhandlungen in Brüssel: Hochgestellter Sakko-Kragen, darunter einen roten Streifen am Revers, schwarzes Hemd. Und er spielt seine Hits so wie am Vortag vor hunderten Zuhörern im Audimax der Wirtschaftsuniversität. Varoufakis ist verlässlich. Er übt Kritik an der Austeritätspolitik und lässt einen Seitenhieb auf Deutschlands Finanzminister, Wolfgang Schäuble, los. „Er wacht jeden Tag auf, geht am Abend schlafen und träumt dabei noch immer vom Grexit.“ Seinem Land, Griechenland, sagt Varoufakis keine rosige Zukunft voraus. „Griechenland ist genau dort, wo es vor fünf Jahren war.“ Und: „Es wird noch schlimmer als jetzt.“ Die Abwärtsspirale werde sich fortsetzen. „Oder würden Sie in ein solches Land investieren?“

Die Abgehobenheit ist zu seinem Markenzeichen geworden, so wie der aufgestellte Kragen. Und doch kann der ehemalige griechische Finanzminister, der sich diese Woche auf Einladung des Kreisky-Forums in Wien aufhielt, auch überraschen. „Wolfgang Schäuble weiß, dass dieses Programm nicht funktionieren kann“, behauptet er. Und auch Griechenlands Premier, Alexis Tsipras, selbst, ehemaliger Weggefährte Varoufakis', halte den Plan, den er „nach 17 Stunden in einem geschlossenen Raum“ unterschrieben habe, für undurchführbar. Bei all den Gesprächen sei Griechenland nicht wirklich im Mittelpunkt gestanden, sondern die Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Deutschland um die Zukunft der Eurozone. „Griechenland war nur der Kollateralschaden.“ Es ging um zwei unterschiedliche Wirtschaftsideologien.

Auf wessen Seite Varoufakis dabei selbst steht, darüber lässt er keinen Zweifel. Er hat die Vision eines großen Investitionsprogramms für ganz Europa. Statt Staatsanleihen sollte die Europäische Zentralbank (EZB) Bonds erwerben, mit denen die Wirtschaft stimuliert würde. Dem stehe aber Deutschlands Austeritätspolitik entgegen. „Berlin ging es darum, einen Teil Europas bewusst abstürzen zu lassen, um eine gewisse Politik in anderen Teilen Europas möglich zu machen.“ Gern schweift er ins Wirtschaftstheoretische ab, erzählt von seinen gemeinsamen Plänen mit dem US-Ökonomen Jeffrey Sachs für einen „Green Deal“, eine nachhaltige Wirtschaftspolitik.

Gemeinsam hätten sie auch Reformen für Griechenland entwickelt. „Ich habe sie Schäuble vorgelegt, Lagarde (IWF-Chefin, Anm.) und vielen Vertretern in der Euro-Gruppe. Aber da war nur Schweigen.“ Sein Mundwinkel zuckt: „Und gleichzeitig versuchten sie den Medien zu vermitteln, dass die Griechen keine Pläne haben.“

Versuchslabor Griechenland

Nach all den langen Sitzungen in geschlossenen Räumen habe er auch das gelernt: Würden die Sitzungen der Euro-Gruppe live übertragen – es wäre vieles nicht geschehen. Transparenz würde die EU stärken, denn die „Entscheidungen im Dunkeln sind auch ökonomisch nicht erfolgreich“. Beispielhaft für die europäische Krise stehe heute die Flüchtlingsfrage, die alle Mitgliedstaaten mit einer Schrebergartenmentalität zu bewältigen versuchten. Griechenland gehört zu den am meisten betroffenen Ländern, hat sich aber lange Zeit von Brüssel im Stich gelassen gefühlt. Während der Gespräche in der Euro-Gruppe „war die Situation der Flüchtlinge kein Thema“. Mit humanitären Fragen dürfe man politisch nicht dealen, sagt Varoufakis – wohl wissend, dass die Union derzeit mit der Türkei derartige Gespräche führt.

Die langen Verhandlungsnächte wirken bei dem heute von linken Gruppen als Rebell gegen den Kapitalismus gefeierten Ex-Finanzminister noch immer nach – sich selbst bezeichnet er als einen liberalen Marxisten. Varoufakis erzählt von den unterschiedlichen Positionen zwischen EU-Kommission und Euro-Gruppe, von all der Verwirrung. Und von der Troika, „deren einzige Agenda es war, Griechenlands Regierung zu stürzen“. Nicht um die Stabilisierung der griechischen Krise sei es der Troika gegangen, sondern um ein Scheitern der linken Führung in Athen.

Er will aber auch klarstellen, dass es zwischen ihm und Schäuble keine Feindschaft gegeben habe. „Eine der traurigsten Erfahrungen war, dass unsere persönliche Beziehung in Wirklichkeit völlig anders war, als sie in den Medien dargestellt wurden. Meine Beziehung zu Schäuble war eine sehr angenehme. Vielleicht hat es sogar mehr Übereinstimmendes als Trennendes gegeben.“ Varoufakis nennt etwa den Abbau von Schulden. Wobei er freilich noch immer völlig andere Vorstellungen hat, wie diese reduziert werden sollten. Nicht über Einsparungen, wie das Schäuble fordert, sondern über die Auslagerung von allen Staatsschulden über der erlaubten Maastrichtgrenze von 60 Prozent in eine Bad Bank.

Von Vergleichen der EU-Sorgenkinder Irland, Spanien, Portugal und Zypern mit Griechenland will der ehemalige Minister nichts wissen, zumal Länder wie Spanien mit immer noch hoher Arbeitslosigkeit seiner Ansicht nach nicht als Erfolgsbeispiele gelten dürften. Auch seien die Sparmaßnahmen in Griechenland weit radikaler gewesen als etwa in Portugal oder Irland, und: Athen habe elfmal mehr Einsparungen einzubringen wie Zypern: „Wir waren“, resümiert Yanis Varoufakis, „das Versuchslabor einer harten Austeritätspolitik.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2015)

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