Yoko Ono: "Ich wollte da einfach nur raus"

Yoko Ono
Yoko Ono(c) REUTERS (LUCAS JACKSON)
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Über prägende Kindheitserlebnisse, über den Mut der Biennale Venedig, der Witwe John Lennons einen Ehren-Löwen fürs künstlerische Lebenswerk zu verleihen. Und über die Gefahren des Feminismus heute.

Die Menschenschlange vor dem Biennale-Theater ging um zwei venezianische Ecken, alle wollten vergangenen Samstag die Performance von Yoko Ono sehen. Gemeinsam mit ihrem US-Kollegen John Baldessari bekam die 76-jährige Aktionskünstlerin und Friedensaktivistin heuer den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk.

Die Performance gestaltete sich dem würdigen Anlass entsprechend auch zu einem Rückblick im Zeitraffer, zwischen Selbstironie und Sentiment schwankend: Erst spielte Sohn Sean Lennon mit seiner Modelfreundin auf der dunklen Bühne mit dem ikonischsten Kunstwerk seiner Mutter, dem völlig in Weiß gehaltenen Schach. Dann rollte sich, stoßweise atmend, Yoko Ono selbst hinter einem semitransparenten Vorhang hervor, zertrümmerte mit einem Hammer halbherzig einen Sessel, tanzte etwas ratlos, aber rastlos zum projizierten Video ihres Songs „Walking on thin Ice“ – beim Nachhauseweg von den Studioaufnahmen dazu war John Lennon 1980 ermordet worden. Worauf die Vorführung überraschend völlig ins Private driftete: Yoko Ono zeigte ausführlich Familienfilme, die sie als Kind im Japan der 30er-Jahre zeigten.

Ihre Performance war extrem persönlich, viele im Publikum haben geweint und gelacht. Die Filme ermöglichten aber auch Rückschlüsse auf Ihr Werk, zeigten etwa, dass Sie es gewohnt waren, immer gefilmt zu werden, sich mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen – Ihre Mutter gab Ihnen immer andere nationale Trachten zum Anziehen. Welche Erlebnisse in Ihrer Kindheit haben Sie am meisten geprägt?

Yoko Ono: Das ist schwer objektiv zu beantworten. Beide meine Eltern kamen aus sehr privilegierten Familien. Aber beide haben sich von der Gesellschaft sehr unterdrückt gefühlt. Vielleicht war es das – auch ich wollte da einfach nur raus.

Und der feministische Einfluss? In einer Ihrer frühen Aktionen etwa, dem „Cut Piece“, ließen Sie sich 1964 vom Publikum die Kleider vom Leib schneiden.

Ono: Eine meiner Großmütter war eine der ersten Feministinnen Japans, sie gehörte zu den „Blue Steps“, vergleichbar mit den „Blaustrümpfen“. Eine feministische Bewegung, die vor der US-Bewegung begann.

Ähnlich wie die japanische Künstlergruppe Gutai, zu der in den späten 50ern schon Frauen gehörten, die vieles der westlichen Aktionskunst vorwegnahm.

Ono: Genau!

Das hören wir in Europa ja nicht so gerne. War es für Sie ein Kampf, sich im London der 60er-Jahre in der Kunstszene zu behaupten? Sie nahmen 1966 als einzige aktive Performancekünstlerin am legendären Deconstruction In Art Symposium teil, wo auch Wiener Aktionisten dabei waren. Bei einer der Vernissagen lernten Sie damals auch John Lennon kennen.

Ono: Es war sehr hart, aber auch großartig für mich in London, ich war beliebt und akzeptiert – bis ich John heiratete. Obwohl ich sehr froh war, dass ich endlich jemanden gefunden hatte, der mich völlig verstand.

Was war anders durch die Heirat?

Ono: John war der Darling der Gesellschaft, es hieß damals eher – warum tut sie uns das an?

Ist es zumindest künstlerisch für Sie heute einfacher?

Ono: Es ist immer noch seltsam. Oft kommt mir vor, man schreibt nur über mich, weil ich Johns Frau war. Es ist sehr mutig von Daniel Birnbaum (Anm. Leiter der Biennale Venedig), heuer mir den Goldenen Löwen zu verleihen.

Sie bekamen durch Lennon aber doch auch viel mehr Aufmerksamkeit für Ihre Kunst.

Ono: Natürlich war er auch sehr wichtig für mich.

Können Sie sich noch an Ihren gemeinsamen Auftritt 1968 im Hotel Sacher in Wien erinnern?

Ono: Oh ja, es war eine Art Konferenz unter der Bettdecke, ich hätte gerne eine Kopie des Films.

Wir haben im Wiener Museum moderner Kunst auch eines Ihrer völlig weißen Schachbretter, an dem Ihr Sohn Sean Lennon mit seiner Freundin bei Ihrer Biennale-Performance spielte.

Ono: Ja, das ist eine sehr schöne Version, eine der ersten!

Warum haben Sie das Schachbrett und seine Figuren am Ende Ihrer Performance von der Bühne gefegt?

Ono: Es war, wie die eigene Vergangenheit wegzuwerfen. Aber Schach ist auch ein Spiel des Verstandes, der Politik, es wegzuwerfen kann auch bedeuten, dass man aufhören soll, mit der Politik Spiele zu treiben.

Sie haben gesagt, Sie hätten bei der Rede Barack Obamas in Kairo vergangene Woche geweint, bei der er versöhnliche Töne gegenüber islamischen Ländern anschlug?

Ono: Ja, endlich hat das einmal jemand gesagt! Aber er muss sich natürlich sehr langsam bewegen, auch wenn er dafür von seinen eigenen Leuten kritisiert wird. Ich finde, er macht das richtig.

Ihre Botschaft an die Welt, die Sie in Ihren jüngsten Aktionen u. a. per Lichtsignal ans Publikum morsen, ist die Liebe, „I love you“. Es fällt schwer, mit solch einfachen Botschaften umzugehen, sie wirken naiv. Vor allem, da auch Liebe zerstörerisch sein kann.

Ono: Das kann sie. Aber ich meine die reine Liebe, und die ist alles andere als einfach.

Wann wurden Ihnen Friede und Liebe als Botschaften wichtiger als feministische Anliegen?

Ono: Feminismus ist sehr wichtig, aber er kann auch gefährlich werden, wenn man die Balance verliert. Feministinnen wollen meistens nur, dass die Männer tun, was sie wollen. Um eine bessere Gesellschaft zu schaffen, müssen wir aber auch ihre Situation verstehen.

Zur Person

Yoko Ono, 1933 in Tokio geboren, folgte ihrer Familie in den 50ern in die USA. Sie gilt als Pionierin der Fluxus-Kunst, macht Filme, Performances, Musik. Durch ihre Heirat mit John Lennon 1969 wurde sie berühmt, setzte sich vermehrt für Frieden, Menschenrechte ein. Zu Beginn der 53. Biennale Venedig bekam sie den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2009)

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