Drei Flüchtlingsgipfel in fünf Tagen

German Chancellor and CDU leader Merkel walks on stage during the party convention in Cologne
German Chancellor and CDU leader Merkel walks on stage during the party convention in CologneREUTERS
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Am Montag wird über die Verteilung der Flüchtlinge beraten, am Mittwoch und Donnerstag über den Umgang mit Afrika, am Freitag geht es um die Kooperation mit der Türkei.

Brüssel. Die mit der Verwaltung der Flüchtlingskrise betrauten Beamten in Brüssel und den Hauptstädten der Europäischen Union sind bekanntlich Kummer – bzw. schlaflose Nächte und durchgearbeitete Wochenenden – gewohnt. Doch was das Arbeitspensum anbelangt, dürfte die kommende Woche kaum zu übertreffen sein, denn gleich drei wichtige Tagungen finden von Montag bis Freitag statt: Am Montag tagen außertourlich die Innenminister der EU, am Mittwoch und Donnerstag die Staats- und Regierungschefs mit ihren afrikanischen Kollegen in Maltas Hauptstadt Valletta, und für den Freitag hat Ratspräsident Donald Tusk zu einem informellen Gipfel nach Brüssel geladen, um, wie es in schriftlichen Einladung an die Würdenträger der Union heißt, „alles zu unternehmen, damit die Schengenzone keinen Schaden nimmt“ – und um die Umsetzung der bisherigen Beschlüsse und Zusagen zu begutachten. Der einzige gipfelfreie Tag ist somit der Dienstag – doch da wird Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans in Ankara erwartet, um mit der türkischen Regierung über Unterstützung bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu beraten. In Vorbereitung auf die Gespräche hat die Brüsseler Behörde vorsichtshalber die für Donnerstag angekündigte Veröffentlichung ihres (eher kritischen) Türkei-Berichts erneut verschoben.

Das bisher Erreichte ist jedenfalls dürftig, wenn man den Kommissionsangaben Glauben schenken will. So fehlen von den insgesamt 775 benötigten Frontex-Beamten (sie müssen von den Mitgliedstaaten freigestellt und entsendet werden) immer noch mehr als 400, bei der EU-Asylagentur Easo beläuft sich das Manko auf gut 150 Personen. Ähnliche Probleme gibt es bei der materiellen Versorgungslage in Kroatien – so hat die Regierung in Zagreb um insgesamt 30.000 Wolldecken angesucht, geliefert wurden bisher insgesamt 10.100. In Slowenien fehlen unterdessen 15.000 Bettwäsche-Garnituren und 3500 Feldbetten. Noch größer sind die Löcher bei den finanziellen Zusagen an UN-Flüchtlingshilfe und die Fonds für Afrika und Syrien: Kommission und Mitgliedstaaten sollen je 2,8 Mrd. Euro lockermachen – die bisherigen nationalen Zusagen belaufen sich aber auf lediglich 518,7 Mio. Euro. Während Österreich 36 Mio. Euro zuschießen will, haben die Niederländer bisher nur zwei Mio. Euro angeboten. Der Höchstbetrag kommt mit 137 Mio. Euro übrigens vom Schengen-Outsider Großbritannien.

116 von 160.000

Was also ist vom bevorstehenden Gipfelmarathon zu erwarten? Auf der Agenda der Innenminister steht jedenfalls die Frage der beschlossenen Verteilung von insgesamt 160.000 Flüchtlingen auf (fast) alle Mitgliedstaaten – von denen bis dato lediglich 116 die Reise antreten konnten, wofür es zwei Gründe gibt: erstens die enden wollende Begeisterung einiger (osteuropäischer) EU-Mitglieder für die Idee an sich und zweitens die Weigerung vieler Flüchtlinge, sich in den Hotspots in Griechenland und Italien registrieren zu lassen. Auch über den Umgang mit Verweigerern wollen die Ressortchefs diskutieren, die Parole lautet „keine Registrierung, keine Rechte“ – wobei am Asylrecht an sich nicht gerüttelt wird.

Beim Gipfel in Valletta wiederum wird es um den Umgang mit Migranten aus Afrika gehen – in einem Entwurf der Gipfelbeschlüsse, der der „Presse“ vorliegt, ist unter anderem davon die Rede, dass die EU bis Ende 2016 Wege für legale Migration nach Europa eröffnet – an dem Pilotprojekt einer europäischen Anlaufstelle wird derzeit in Niger gearbeitet. Das übergeordnete Ziel aller Initiativen, die von Bekämpfung der Schlepperbanden bis zum Aufbau der Infrastruktur reichen: Der illegale Weg nach Norden soll erschwert bzw. unattraktiv gemacht werden.

Bleibt zu guter Letzt das Brüsseler Treffen am Freitag: Als ersten Punkt auf der Tagesordnung nennt Tusk die verstärkte Kooperation mit der Türkei – die Staats- und Regierungschefs werden die Gelegenheit haben, über die Ergebnisse des Timmermans-Besuchs in Ankara zu debattieren. Für ihre Kooperation fordert die türkische Regierung unter anderem rund drei Mrd. Euro, einen eigenen EU-Türkei-Gipfel, die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen sowie Visumfreiheit für türkische Staatsbürger, die in die EU reisen wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2015)

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