Staatsschutz warnt vor rechter Radikalisierung

Protesters take part in an anti-migrant rally at the Spielfeld border crossing with Slovenia, in Austria
Protesters take part in an anti-migrant rally at the Spielfeld border crossing with Slovenia, in Austria REUTERS
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In den ersten drei Quartalen gab es mehr rechtsextreme Taten als im gesamten Vorjahr. Der Staatsschutz erwartet mehr Auseinandersetzungen mit der extremen Rechten im öffentlichen Raum.

Österreichs Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) neigt bei der Beurteilung staatsfeindlicher Tendenzen jedweder Art gewöhnlich nicht zu Alarmismus. Daher kann man es als durchaus bemerkenswert bezeichnen, wie besorgniserregend sich die aktuellen Analysen zu bisher unveröffentlichten Daten über rechtsextreme Straftaten und die dazugehörige Radikalisierung lesen und anhören.

Wegen der durch die Flüchtlingskrise eingetretenen Verunsicherung in der Gesellschaft erwarten die Staatsschützer eine bisher ausgebliebene Radikalisierung der Stimmung auch in Österreich. „Es ist anzunehmen, dass sowohl das Auftreten der extremen Rechten als auch die Auseinandersetzung mit ihr in Zukunft verstärkt im öffentlichen Raum stattfinden werden“, lautet die Einschätzung über die künftige Entwicklung.

Während die Behörde das Risiko, dass als Flüchtlinge getarnte Terroristen ins Land sickern, als „nicht ausgeschlossen, aber wenig wahrscheinlich“ bewertet, machen sich die Fachabteilungen zusehends Sorgen über Straftaten, die dem extrem rechten Milieu zuzuordnen sind. Offensichtlich angeheizt durch die Umstände der gegenwärtigen Migrationsbewegung wurden beim BVT in den ersten drei Quartalen 2015 um zehn Prozent mehr Fälle aktenkundig als im gesamten Vorjahr. Damals waren es 750. Bei der Summe der Strafanzeigen verhält es sich ganz ähnlich. Die Zahl von 1201 (gesamtes Jahr 2014) war heuer ebenfalls schon Ende September erreicht. Die überwältigende Mehrzahl der Vorgänge fand in den Bundesländern Niederösterreich, Oberösterreich und Steiermark statt.

Dabei ist es weniger das Niveau (insgesamt bearbeitet die Polizei bundesweit jährlich mehr als eine halbe Million Straftaten) als vielmehr der gesellschaftliche Hintergrund dieser Zahlen, der dem Amt Sorgen bereitet. In einem Bericht wird das „massive Auftreten der neuen Rechten“ beschrieben (konkret die Identitäre Bewegung Österreich), deren Aktionen – von der Straßenblockade bis hin zum symbolischen Bau von Grenzzäunen – in der Öffentlichkeit zum Teil mit Applaus bedacht werden. Wörtlich heißt es in einer Analyse dazu: „Wahrzunehmen ist der bedenkliche Trend, dass die extreme Rechte in der politischen Mitte salonfähig wird.“

Attacke auf Rotkreuzmitarbeiter

Das BVT beschreibt damit nicht weniger als eine verstärkte Radikalisierung und Polarisierung der Gesellschaft, ausgelöst durch den Zustrom an Flüchtlingen. Äußern kann sich das in Zwischenfällen, wie er Freitagmorgen in Wieselburg (Niederösterreich) stattfand. Ein – vermutlich alkoholisierter – Mann hatte bei einem Transitquartier mit seinem Auto zunächst ein Tretgitter durchbrochen und drang weiter zu Fuß in die Flüchtlingsunterkunft vor. Anschließend attackierte er einen Mitarbeiter des Roten Kreuzes. Während der Tat war er in eine Österreich-Fahne gehüllt. Auf der Flucht wurde er festgenommen.

Der Staatsschutz analysierte für die aktuellen Daten auch die Motivation für die jeweilige Straftat. Dabei fällt auf, dass vor allem Fremdenfeindlichkeit und Rassismus als Antrieb eine immer größere Bedeutung zukommen. In den meisten Fällen äußert sich das dann in Straftaten wie Verhetzung (darunter vor allem Internetpostings) oder Verstößen gegen das Verbotsgesetz.

Im Gegensatz zu Deutschland, wo schon Flüchtlingsunterkünfte in Brand gesetzt wurden, spielen fremdenfeindlich motivierte Gewalttaten in Österreich – obwohl es sie natürlich gibt – eine zahlenmäßig untergeordnete Rolle. Ihr Anteil beträgt etwa zehn Prozent.

Gemäß einer weiteren Bewertung des BVT dürfte das auch damit zu tun haben, dass Anhänger extrem rechter Ideologien in der FPÖ gewissermaßen ein „Ventil innerhalb des Verfassungsbogens“ vorfinden. Als Beispiel dient in dem Bericht der Umstand, dass die in Deutschland so erfolgreiche Pegida-Bewegung hierzulande bis heute nicht ernsthaft Fuß fassen konnte.

Diese Konstellation hatte bisher zur Folge, dass sich auch der personelle Zuwachs der Szene in Grenzen hielt. Doch auch dieser Umstand dürfte sich wohl ändern. Mittelfristig, so die Prognose des Staatsschutzes, sei mit einem Zuwachs an Sympathisanten und Aktivisten zu rechnen.

LEXIKON

Verfassungsschutz. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung wurde im Jahr 2002 gegründet. Die Staatspolizei und einige Sondereinheiten des Innenministeriums wurden in der Zeit der schwarz-blauen Koalition auf Bundesebene zu dem neuen Amt zusammengefasst. Auslöser waren die verstärkten Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung nach den Anschlägen des 11. 9. 2001. Jährlich erstellen die dort tätigen Beamten einen Verfassungsschutzbericht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2015)

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