IS-Terror erreicht neue Dimension

An Egyptian army soldier stands guard near debris from a Russian airliner which crashed at the Hassana area in Arish city
An Egyptian army soldier stands guard near debris from a Russian airliner which crashed at the Hassana area in Arish city(c) REUTERS (MOHAMED ABD EL GHANY)
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Ein Bombenanschlag auf den russischen Jet über dem Sinai gilt als immer wahrscheinlicher. Terrorexperten glauben, dass der sogenannte Islamische Staat weitere solche Attentate plant. Die internationale Zivilluftfahrt ist bedroht.

Der Blitz einer Explosion, dicke schwarze Rauchschwaden, wie sie beim Brand von Kunststoffteilen und Kabeln entstehen. Ein Loch ist in den Rumpf des Airbus A321 gerissen. Der Luftdruck fällt im Inneren. Einige Passagiere werden bewusstlos. Den anderen bleibt kaum Zeit zu begreifen, was los ist. Der Flieger fällt vom Himmel. Vielleicht kann der eine oder andere noch die Hand seines Kindes oder seiner Frau drücken und ihnen in die Augen sehen. Bald ist alles aus. Die Maschine zerschellt. 224 Menschen sind tot, die im Ferienort Sharm el-Scheik Urlaub gemacht haben.

Die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) feiert das feige. In einem Video verteilen bärtige Kämpfer freudestrahlend Bonbons in einer irakischen Stadt. Taxifahrer und Passanten preisen Allah. „Wir haben es getan“, sagt ein Mann mit osteuropäischem Akzent. Russland habe die Rechnung für seine Intervention in Syrien erhalten. Er hebt ein Messer: „Putin ist ein Schwein.“

Von nun an wird bei vielen Fluggästen ein wenig Angst mehr mitfliegen. Denn alle Indizien legen nahe, dass der ägyptische IS-Ableger eine Bombe in den Russenjet geschmuggelt hat. Westliche Geheimdienste scheinen keine Zweifel mehr zu haben. Sie haben den Funkverkehr der Terroristen abgehört, Satellitenfotos zeigen die Hitzeentwicklung einer Explosion, und dann sind da die laxen Kontrollen in Sharm el-Sheik, die in Europa längst kritisch beäugt wurden. Sicherheitsexperten vermuten, dass das Flughafenpersonal die Bombe aus finanziellen oder ideologischen Motiven an Bord gebracht hat.

Evakuierungsaktion. Großbritannien, Russland und andere Länder setzten bis Samstag alle Flüge nach Sharm el-Sheik aus. Zahllose Touristen, darunter allein 20.000 Briten und noch mehr Russen, sitzen fest. Rund 80.000 Russen sind in Ägypten, sie werden mit Sonderflügen heimgebracht, müssen aber ihr Gepäck zurücklassen, das mit Transportfliegern nachgeholt wird. Andere Staaten machen das auch so. Viele Passagiere weigern sich aber abzufliegen. Auf Zypern stand am Samstag ein Dutzend leerer Flugzeuge britischer Gesellschaften bereit, um Briten auszufliegen.

Die Absage der Flüge spricht Bände. Bei Passagieren, die heute, morgen oder übermorgen fliegen müssen, wird das ein flaues Gefühl erzeugen oder den Gedanken: Werde ich auch ankommen? Denn jeder weiß: Die Terroristen wollen noch mehr Menschen auf hinterhältige Weise umbringen.

„Wir müssen uns sehr wahrscheinlich auf weitere Anschläge des IS einstellen“, glaubt Aymenn Jawad al-Tamimi von der US-Denkfabrik Forum Mittlerer Osten. „Attentate werden sich nicht auf russische Ziele beschränken.“ Die mindestens 62 Staaten der Anti-IS-Koalition, die militärisch agieren oder den Kampf gegen den IS nur polizeilich, juristisch und politisch unterstützen, könnten attackiert werden. Auch Deutschland, das Kurden im Irak trainiert und Waffen liefert. Erst im August haben deutsche IS-Fanatiker erneut Kanzlerin Angela Merkel als „Hündin“ beleidigt und Deutschland bedroht. „Wir werden die Kuffar (Ungläubigen) in ihren Häusern angreifen“, sagt ein Abu Omar al-Almani in einem Video, bevor er mit dem aus Wien stammenden Radikalen Abu Mahmud zwei Gefangene in Palmyra exekutiert. Auch Österreich ist Teil dieser Koalition.

„Imperium der Ungläubigkeit“. Der Sprecher der Extremisten, Mohammed al-Adnani, forderte mehrfach alle Muslime auf, gegen das „Imperium der Ungläubigkeit“ zu kämpfen. Die islamistische Weltrevolution blieb aus. Bisher handelten nur Einzeltäter. Da war etwa die Ermordung westlicher Touristen in Tunesien, die Geiselnahme in einem Pariser Supermarkt. Im September wurde in Deutschland ein Islamist erschossen, der eine Polizistin verletzt hatte.

Ein Anschlag auf ein Zivilflugzeug ist allerdings eine neue Kategorie für den IS. Sollte es sich wiederholen, müsste der Krieg gegen den IS überdacht werden. Denn seit der Katastrophe vom 11. September 2001 ist kein islamistisches Flugzeugattentat geglückt. Die Anschläge damals in den USA waren ein Plot von al-Qaida. Bis heute versucht das Netzwerk erfolglos, etwas Ähnliches auf die Beine zu stellen. Da gab es den „Schuhbomber“ Richard Reid, der im Dezember 2001 den American Airlines Flug 63 von Paris nach Miami sprengen wollte. 2009 schickte al-Qaida den Nigerianer Umar Farouk Abdulmutallab, den „Unterhosenbomber“, zur Weihnachtszeit in die USA. Vor der Landung flog er auf, man machte den in die Unterhose genähten Sprengstoff unschädlich. Im Oktober 2010 fanden US-Behörden Plastiksprengstoff in Laserdruckern in zwei Frachtfliegern. „Wenn jetzt der IS fähig ist, Attentate wie auf dem Sinai durchzuführen“, meint al-Tamimi, der Islamisten-Experte, „dann steigt sein Ansehen in der Welt der Jihadisten enorm.“ Seit dem syrischen Bürgerkrieg streiten sich al-Qaida und der IS um die Führung der Islamistenszene. Die Zerstörung des russischen Airbus wäre für Extremisten wie eine Goldmedaille. Und der Sympathien kann sich der IS selbst bei „verwandten“ Gegnern sicher sein, etwa anderen syrischen Jihadisten.

In Sharm el-Sheik laufen Ermittlungen gegen die Gepäckabfertiger auf dem Flughafen. Leicht hätte einer von ihnen eine Bombe in einen Koffer oder den Gepäckraum bringen können. In Ägypten ist Sprengstoff leicht zu haben, allein aus Libyen wird viel eingeschmuggelt. Islamisten haben etablierte Infrastrukturen und Terrorpraxis. Die meisten der ägyptischen IS-Mitglieder wurden in Libyen ausgebildet. Terrorexperten gibt es in der Region genug.

Rakete verfehlte Briten-Flugzeug.Dennoch: „Bis jetzt ist unklar, von wem die Initiative bei diesem Attentat ausging“, sagt al-Tamimi. An einen Bluff des IS mag er nicht recht glauben. „Aber selbst wenn sie es nicht getan haben, dann haben sie psychologisch sehr gut Krieg geführt und Angst geschürt.“ Unterdessen berichteten britische Medien, dass im August ein britisches Flugzeug bei der Landung in Sharm al-Sheikh fast von einer Rakete getroffen wurde. Der Pilot des Jets der Linie Thomson mit 189 Insassen habe sie gesehen und sei ein Ausweichmanöver geflogen. Die britische Regierung bestätigte den Vorfall, der aber Zufall gewesen sei. Tatsächlich hätte eine Luftabwehrrakete ein landendes Großraumflugzeug sehr wahrscheinlich getroffen, daher könnte es keine solche Waffe, sondern etwa eine ungelenkte Rakete aus einem artilleristischen Mehrfachwerfer gewesen sein. Ägyptische Truppen führten damals Manöver bei Sharm el-Sheikh durch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2015)

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