Diesel: Sprit, der doch nicht super ist

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Die Luftgüte hat Schaden genommen, nun stellt eine Studie auch jegliche CO2-Einsparung des europäischen Dieselboomsinfrage – wer hat uns den eigentlich eingebrockt?

Gewitter haben klärende Wirkung, heißt es, und so ist es auch der aktuellen Aufregung um manipulierte Abgaswerte von Dieselmotoren zu danken, dass sie den öffentlichen Blick auf gewisse Diskrepanzen schärft. Auch wenn es eine komplexe Materie bleibt, ein trockenes Fach – und schmerzhafte Einsichten die Folge sein können.

So mag es vielen Autofahrern egal sein, was aus dem eigenen Auspuff strömt, weil die Zufriedenheit mit dem Vehikel von anderen Parametern abhängt, doch gibt es nicht wenige, die zum unbestreitbaren Verbrauchsvorteil eines Dieselmotors gern auch den Bonus der ökologisch guten Tat mitnehmen. Ist nicht sauberer, was weniger verbraucht? Sie müssen lernen, entgegen anderslautenden Versprechungen der Industrie und ihrer Lobbyingverbände, dass der Dieselantrieb alles ist, nur nicht umweltfreundlich.

Das ist seinem Arbeitsprinzip geschuldet, das effizienter ist als beim Ottomotor (vulgo Benziner), aber unvermeidbar mehr Schadstoffe im Abgas produziert – umso mehr, je effizienter die Maschine läuft. Ein bedauerlicher Interessenkonflikt, der sich nur mit aufwendiger Nachbehandlung der Abgase klären lässt. Die ist teuer, und wenn sie nach allen Regeln der Kunst betrieben wird, droht sie den Dieselmotor um seine Meriten zu bringen: Kosten, Wartungsaufwand und Verbrauch steigen, der Punch lässt nach.

Die Voraussetzung für den beispiellosen Siegeszug des Diesel-Pkw in Europa war mithin ein Zulassungsverfahren, das über dessen Toilettefehler hinwegsah. Der aktuelle Testzyklus liefert Werte, die bei den Schadstoffen wie Feinstaub und Stickoxid (NOx, davon besonders schädlich: das gar nicht erst ausgewiesene NO2) noch viel höher von den Realwerten abweichen als beim Verbrauch (auch das 2018 kommende WLTP-Prozedere wird nur einen Hauch realistischer). Luftgütemessungen überall in Europa ergänzen das Bild: Grenzwerte werden chronisch überschritten, und während es beim Feinstaub viele Emittenten gibt, gehören Stickoxide allein dem Diesel.

Bliebe es dabei, könnte man immer noch die Rettung der Welt ins Feld führen. Dieselantrieb ist schließlich die schärfste Waffe der europäischen (oder in Europa tätigen) Autoindustrie, um eine Senkung des Flottenverbrauchs, damit der CO2-Emissionen zu erzielen.

Er habe aber just das Gegenteil zur Folge, argumentieren die Autoren einer 2013 publizierten Evaluierung des Diesel-Pkw-Booms in Europa. Michel Cames von der Uni Luxembourg und Eckard Helmers von der Uni Trier kommen zu dem Schluss, dass die massenhafte Verbreitung des Diesel-Pkw in Europa „die Erderwärmung negativ beeinflusst hat“, während die Luftverschmutzung „vielerorts in Europa alarmierende Ausmaße“ angenommen habe. Grund für die propagierte, aber letztlich verfehlte Einsparung von Treibhausgasen sei die CO2-intensive Versorgungskette mit Dieselkraftstoff, um angesichts der hohen Nachfrage die begrenzten Kapazitäten der Raffinerien, diesen aus Rohöl herzustellen, auszugleichen. Zudem sei das Potenzial des grundsätzlich effizienteren Dieselmotors nicht zur CO2-Absenkung genutzt worden, sondern um Pkw mit mehr Motorleistung und Fahrzeugmasse zu vermarkten. Ebenfalls einen Beitrag zur Erderwärmung leiste der Ausstoß an Rußpartikeln von Millionen Diesel-Pkw in Europa, die ohne oder mit ineffizienten Filtersystemen unterwegs sind.

Starker Tobak – nicht nur für wohlmeinende Autokäufer, auch für die Industrie, die zugunsten des Dieselmotors alternative Antriebsarten vernachlässigt hat, auch unter der Prämisse, die Technologie in die Welt zu exportieren. Doch die zwei größten Automärkte der Welt, China und die USA, werden die Dieselphase überspringen.

So vergleichen die Autoren auch Europa mit Japan, wo man vor 20 Jahren einen vergleichbaren Anteil an Diesel-Pkw hatte. Japan hat sich für die Hybridtechnologie entschieden und erreicht der Studie zufolge damit wesentlich höhere Einsparungen an CO2als Europa mit dem Diesel – ohne sich Probleme mit der Luft einzuhandeln.

Auch den Ursachen für den Boom gehen die Autoren auf den Grund. Den Anstoß habe die Erdölindustrie geliefert, die sich gezwungen sah, neue Absatzmärkte für ihre Mitteldestillate zu erschließen, nachdem Europas Haushalte mehrheitlich von Öl- auf Gasheizungen umgestellt hatten. Politisch habe die EU das Drängen mit einer Bevorzugung des Dieselkraftstoffes unterstützt, gleichzeitig kochen kleine Transitländer wie Österreich bis heute ihr eigenes Süppchen: Frächter, die dank niedriger Dieselpreise bei uns tanken, bringen dem Staat schnelle Kohle.

Schließlich haben sich die Hersteller mit der Serienreife des direkteinspritzenden Turbodiesels ab 1990 einen Wettbewerbsvorteil verschafft und vermochten einen stagnierenden Markt anzukurbeln. Eine Ironie, dass ausgerechnet der VW-Konzern mit dem TDI die treibende Kraft war – und jetzt am tiefsten in der Sackgasse steckt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2015)

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