Nun räumen auch die ägyptischen Ermittler ein, dass ein Sprengsatz der wahrscheinlichste Grund für den Crash des russischen Airbus am 31. Oktober gewesen ist.
Kairo. Nun gehen also auch die ägyptischen Ermittler von einem Anschlag auf Metrojet 9268 mit Kurs St. Petersburg aus: Grund für den Absturz des russischen Passagierflugzeugs vom Typ A321 über dem Sinai mit 224 Toten am Samstag vor einer Woche war „zu 90 Prozent eine Bombe“, berichtete ein Mitglied des Ermittlerteams der Nachrichtenagentur Reuters am gestrigen Sonntag. Der Flugschreiber habe ein letztes Geräusch aufgezeichnet, das wohl von der Explosion eines Sprengsatzes stammt.
Während westliche Länder diese Vermutung bereits geäußert hatten, warnte Kairo zunächst – ebenso wie die russische Regierung – vor vorschnellen Spekulationen. Kein Wunder, steht doch für alle Seiten enorm viel auf dem Spiel. Für Russlands Präsidenten, Wladimir Putin, wäre eine Bombe der Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS), die als Urheberin verdächtigt wird, eine überraschend prompte und brutale Antwort der Gotteskrieger auf seinen Luftkrieg in Syrien, der auch nach fünf Wochen keine größeren Erfolge zu verzeichnen hat. Sollte der Sprengsatz auf dem Startflughafen Sharm el-Sheikh an Bord geschmuggelt worden sein, kann Putins Kritik an Kairo dennoch nicht zu laut ausfallen. Schließlich ist Ägyptens Machthaber, Abdel Fattah al-Sisi, seit dem Umsturz 2013 neben Syriens Bashar al-Assad zum engsten Verbündeten des Kremls im Nahen Osten aufgestiegen. Um dennoch Entschiedenheit zu zeigen, könnte Putin seinen Krieg in Syrien eskalieren lassen, deutlich mehr Luftangriffe gegen den IS anordnen und auf dem Boden stärker als bisher in den Bürgerkrieg eingreifen.
Für Ägyptens Abdel Fattah al-Sisi wäre eine IS-Terrortat auf ägyptischem Territorium eine ökonomische und politische Katastrophe, die auch die eigene Macht gefährden könnte. Der Feldmarschall ist vor zwei Jahren mit dem Versprechen angetreten, den Terrorismus in Ägypten auszurotten, und hat sich zum globalen Vorkämpfer gegen islamische Extremisten stilisiert. In Wirklichkeit ist die Zahl der Anschläge auf dem Sinai, aber auch im Niltal, seither gestiegen. „Sisis Strategie gegen den Terrorismus ist ein Bilderbuchfall dafür, wie man es nicht machen sollte“, urteilte Daniel Byman, Antiterrorexperte der renommierten Brookings Institution in Washington. Aber auch andere Probleme wachsen dem Ägypter über den Kopf: Die Devisenreserven sind alarmierend knapp geworden, weil die bisherigen Gönner am Golf seit März nicht mehr nachlegen. Die Inflation ist hoch, die Wirtschaft stagniert. Und obendrein droht jetzt der Zusammenbruch des Tourismus.
Mit der Evakuierung allein der zigtausenden russischen und britischen Urlauber aus Sharm el-Sheikh könnte die Ferienbranche am Roten Meer 70 Prozent ihrer Kunden verlieren. Im vergangenen Jahr reisten drei Millionen Russen zum Baden, Schnorcheln und Tauchen an, aus Großbritannien kamen eine Million Gäste. 1,5 Millionen Ägypter waren bisher in dieser Branche beschäftigt und könnten jetzt in Massen ihre Arbeit verlieren.
IS-Terror gegen Touristen
Mit einer an Bord geschmuggelten Bombe dagegen hätte der IS ein apokalyptisches Signal gesetzt – für die arabische Region und die ganze zivile Luftfahrt. In mitgehörten Telefonaten brüsteten sich Jihadisten auf dem Sinai gegenüber der IS-Führung im syrischen Raqqa, sie hätten das Flugzeug vom Himmel geholt. Wenn das tatsächlich stimmt, richtet sich der IS-Terror in Ägypten erstmals auch gegen ausländische Touristen, nicht mehr nur gegen Polizisten, Soldaten, Mitglieder der Justiz und Politiker.
Weitere schwere Attentate könnten folgen. Erst im Juni ist ein Massaker an Besuchern des Karnak-Tempels in Luxor in letzter Minute vereitelt worden.
AUF EINEN BLICK
Grund für den Absturz des russischen Verkehrsflugzeugs in Ägypten mit 224 Toten ist vermutlich ein Bombenanschlag durch Islamisten. Davon gehen eine Woche nach der Katastrophe inzwischen auch die ägyptischen Ermittler aus. „Wir sind zu 90 Prozent sicher, dass es eine Bombe war“, sagte ein Mitglied des Ermittlerteams am Sonntag der Nachrichtenagentur Reuters. Das habe die Auswertung des Flugschreibers ergeben. Man höre ganz zum Schluss eine Explosion.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2015)