Schule bitte nicht den selbst ernannten Experten überlassen

Warum Autonomie für die Schulen nicht reicht und ein Zauberwort nicht gut ist.

Der Ausgangsdiagnose von Bernadette Bayrhammer in ihrem Leitartikel zur Autonomie der österreichischen Schulen („Presse“ vom 5. 11.) ist wohl uneingeschränkt zuzustimmen: Die Entscheidungsspielräume der österreichischen Schulleiterinnen und Schulleiter sind sowohl im Ländervergleich erschreckend eng als auch angesichts ausdifferenzierter Bedürfnislagen an Schulen besorgniserregend begrenzt. Daraus erklären sich ja auch die hohen Erwartungen, die von den betroffenen Akteuren im Schulsystem an die Bildungsreformgruppe und an den Nationalrat (Stichtag: 17. November) gerichtet werden.

Allerdings ist mit dieser Engführung der Debatte die Gefahr verbunden, von einem „Zauberwort“ zwar die Lösung der Probleme zu erwarten, dabei jedoch die neu entstehenden Herausforderungen zu vernachlässigen.

Gerade das Thema „Autonomie“ lässt sich nämlich nicht sinnvoll ohne eine „Neuaufstellung des Systems“ denken – es sei denn, man akzeptiert stillschweigend den Rückzug der öffentlichen Hand und überlässt das Schulsystem sukzessive der „unsichtbaren Hand“ des Marktes und des Wettbewerbs zwischen Schulen mit ihrem jeweils eigenen Profil.

Überforderte Schulbürokratie

Um nicht missverstanden zu werden: Die österreichischen Schulen brauchen mehr Autonomie. Dies jedoch weniger aus ideologischen als vielmehr aus praktischen Gründen. Angesichts der rasanten gesellschaftlichen Entwicklungen entpuppt sich die zentralistische Steuerung entlang einer ministeriellen Mechanik zusehends als Schimäre.

Die Schulbürokratie ist kaum noch in der Lage, alle lokalen Anpassungen zu überblicken (Stichwort: Schulversuche), sodass vielerorts Innovationen nur in den Grauzonen „brauchbarer Illegalität“ (N. Luhmann) möglich sind. Dennoch scheint es kaum wünschenswert, den Staat aus seiner Steuerungsverantwortung zu entlassen. Immerhin besteht die durchaus realistische Gefahr, dass die Autonomie an der Basis missbraucht wird.

Partei- oder Scheckbuch?

Dies ist bekanntlich das Argument der Veränderungsverweigerer, die jedoch nonchalant übersehen, dass derzeit auch die heteronomen Zugriffsmöglichkeiten durch Politik und Verwaltung mitunter missbräuchlich verwendet werden. So gesehen bestünde der Unterschied nur darin, ob in Zukunft statt des Parteibuchs das Scheckbuch zur Anstellung verhilft.

Daraus wird ersichtlich, dass Entscheidungsspielräume der Einhegung durch ein System der „checks und balances“ bedürfen, weshalb die zentrale Frage jene nach der Flexibilität des Gesamtsystems sein sollte.

Es kann angesichts der globalen und der gesamtgesellschaftlichen Dynamiken, in die das Schulsystem eingebettet ist, nicht mehr darum gehen, einen optimalen Grad an Autonomie statisch zu definieren und davon ausgehend ein optimales System zu konstruieren. Vielmehr sollte es darum gehen, die Veränderungsfähigkeit insgesamt sicherzustellen.

Dafür erforderlich sind neben lernfähigen Strukturen in Schulpolitik und Schulverwaltung auch Räume eines öffentlichen Diskurses, in dem unterschiedliche Perspektiven auf das Schulsystem verhandelt werden können. Schule und Bildung sind – nicht erst seit Pisa, Bologna und Co. – zu wichtig, als dass sie den (oft genug: selbst ernannten) Expertinnen und Experten überlassen werden sollten.

Spätestens dann wird sich nämlich herausstellen, dass es mit „Zauberworten“ ebenso wenig getan ist wie mit Stereotypen oder Stammtischparolen.

Dr. Paul Reinbacher leitet die Stabstelle Qualitätsmanagement an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2015)

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