Lohndifferenz zu messen ist Vergleich von Äpfeln und Birnen

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Die Lohndiskriminierung zwischen den Geschlechtern ist verboten. Die Messung der Unterschiede birgt aber große Tücken.

Der "unerklärte" Teil der Lohndifferenz, d.h. der mittlere Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern, die hinsichtlich bestimmter lohnrelevanter Charakteristika vergleichbar sind, wird in der öffentlichen Diskussion häufig mit der Lohndiskriminierung gleichgesetzt. Dieser Beitrag zeigt jedoch, dass die Messung von Lohndiskriminierung unter Berücksichtigung der lohnrelevanten Charakteristika große methodische Tücken birgt.

Das Schweizerische Gleichstellungsgesetz (Art.3 Abs. 1-2) verbietet (Lohn-)Diskriminierung am Arbeitsmarkt aufgrund des Geschlechtes und verpflichtet somit die Arbeitgeber, Frauen und Männer für gleichwertige Arbeit gleich zu entlohnen, wie auch in der Bundesverfassung (BV Art. 8 Abs. 3) festgelegt. Um die Lohnrealität den gesetzlichen Vorgaben gegenüberzustellen, werden in regelmässigen Abständen vom Bundesamt für Statistik und anderen Stellen (insbesondere Universitäten) statistische Studien zu den Lohndifferenzen zwischen Männern und Frauen durchgeführt.

Besondere Beachtung in diesen statistischen Zerlegungen der Lohnunterschiede findet dabei der sogenannte "unerklärte" Teil der Lohndifferenz, also der mittlere Lohnunterschied zwischen Männern und jenen Frauen, die mit den Männern hinsichtlich Ausbildung, Beruf, Alter, Arbeitsmarkterfahrung und anderen lohnrelevanten Charakteristiken vergleichbar sind. Nach verbreiteter Ansicht müssten vergleichbare Frauen im Durchschnitt auch einen vergleichbaren Lohn wie die Männer erzielen. Somit wird der "unerklärte" Teil in der politischen und öffentlichen Diskussion häufig mit der Lohndiskriminierung gleichgesetzt.

Methodenproblem

Leider existiert aber vermutlich weder in der Schweiz, noch international irgendeine statistische Zerlegung der Lohnunterschiede, die methodisch so ausgereift ist, dass sie die Gleichsetzung von unerklärter Lohndifferenz und Diskriminierung rechtfertigen könnte. Ein erstes Problem stellt die Messung der Charakteristiken dar. Selbst wenn Einigkeit darüber bestünde, bezüglich welcher Merkmale Frauen und Männer vergleichbar sein sollten, liefert die Datengrundlage diese nicht immer in genügend akkurater Form. Z.B. differenziert der Ausbildungsstand häufig nur nach dem Abschluss (z.B. Lehre, Matura, Bachelor, Master), nicht aber nach der (lohnrelevanten) Wahl der Fachrichtung (z.B. technische vs. kaufmännische Lehre), in der sich Frauen und Männer generell unterscheiden. Ferner werden manche relevanten Charakteristiken in der Regel gar nicht erhoben, wie z.B. ein Mass für "Verfügbarkeit" (e.g. die Bereitschaft, Überstunden zu machen oder spontan am Wochenende einzuspringen).

Selbst wenn diese Unzulänglichkeiten gelöst werden könnten, so bleibt ein grundsätzliches methodisches Problem bestehen, welches Statistiker und Ökonomen als "Selektionsverzerrung" bezeichnen: Wenn für die Untersuchung Frauen und Männer herangezogen werden, die ein vordefiniertes Set von vergleichbaren Charakteristiken aufweisen, die ihrerseits vom Geschlecht beeinflusst werden (wie z.B. Ausbildung und Beruf), besteht das Risiko, dass die Vergleichbarkeit anderer lohnrelevanter (aber in den Daten nicht beobachteter) Merkmale sinkt, sodass effektiv Äpfel mit Birnen verglichen werden.

Ein Vergleich von Äpfeln und Birnen

Um dies beispielhaft zu veranschaulichen, sei stark vereinfachend unterstellt, dass Frauen und Männer einzig in der Ausbildung vergleichbar sein sollen und dass der konkrete Untersuchungsgegenstand der durchschnittliche Lohnunterschied von Frauen und Männern mit technischem Hochschulstudium ist. Nehmen wir ferner an, dass Frauen und Männer in der Gesamtbevölkerung im Durchschnitt gleich gute Mathematikkenntnisse aufweisen, dass sich aber (z.B. aufgrund von traditionellen Rollenbildern) ausschliesslich Frauen mit überaus hohen mathematischen Fähigkeiten für ein technisches Studium entscheiden, während auch Männer mit weniger guten Mathematikkenntnissen diese Studienwahl treffen (z.B. weil Technik als Männerdomäne angesehen und vom Elternhaus dementsprechend gefördert wird).

Falls nun Mathematikkompetenz über den Studienabschluss hinaus einen positiven Effekt auf den Lohn hat, dann unterschätzt ein Vergleich von Frauen und Männern mit technischem Hochschulabschluss den Diskriminierungseffekt: Der Lohn der mathematisch sehr versierten Frauen würde mit jenem der im Durchschnitt weniger befähigten Männer verglichen. Obwohl beide Gruppen den gleichen Bildungsabschluss aufweisen, ist es (bezüglich der mathematischen Kompetenz) ein Vergleich von Äpfeln und Birnen.

Angenommen, der gemessene durchschnittliche Lohnunterschied wäre gleich Null, dann wäre die naive Schlussfolgerung: "Es besteht keine Diskriminierung, weil Frauen und Männer mit technischer Ausbildung im Durchschnitt gleich viel verdienen." Angebracht wäre in unserem hypothetischen Beispiel hingegen folgende Schlussfolgerung: "Obwohl Frauen mit technischer Ausbildung im Durchschnitt bessere Mathematikfähigkeiten aufweisen als Männer mit dem gleichen Abschluss, verdienen beide Gruppen gleich viel." Die zweite Aussage legt deshalb (trotz einer Null-Differenz) das Vorhandensein einer Lohndiskriminierung nahe, aber ihre Grösse bleibt unbestimmt.

Vermeintliche Verbesserung würde die Erfassung der Mathematikkompetenzen in der Datengrundlage bringen, jedoch werden viele andere Faktoren, die ebenfalls sowohl die Bildung, als auch den Lohn beeinflussen (und somit zu "Selektionsverzerrung" führen), auf absehbare Zeit nicht verfügbar sein. Dazu gehören insbesondere auch schwer messbare (aber lohnrelevante) Persönlichkeitsmerkmale wie Motivation, Intelligenz, Durchsetzungsvermögen, Zielstrebigkeit, soziale Kompetenz und ähnliches.

Die Tücken des "Vergleichbar-Machens"

Somit bleibt das statistische Grundproblem bestehen, dass das "Vergleichbar-Machen" von Frauen und Männern hinsichtlich bestimmter Merkmale dazu führen kann, dass sie in anderen (ebenfalls lohnrelevanten) Charakteristiken (noch) unvergleichbar(er) werden. Politische Handlungsempfehlungen sollten deshalb berücksichtigen, dass die bis dato in der Schweiz und international durchgeführten Zerlegungen von Lohnunterschieden keine unmittelbare Erkenntnis über die tatsächliche Lohndiskriminierung liefern.

Manche Aspekte der Arbeitsmarktdiskriminierung lassen sich methodisch überzeugender anhand von Experimenten messen, wie z.B. die Einladung zu Vorstellungsgesprächen in Abhängigkeit vom Geschlecht oder vom dem Geschlecht leicht zuzuordnenden Namen auf (fiktiven) Lebensläufen, die an Unternehmen versandt werden (so geschehen u.a. in den USA). Für den speziellen Fall der Lohndiskriminierung erscheint hingegen auch der experimentelle Ansatz schwer umsetzbar. Weitere Anstrengungen zur Verbesserung der Daten- und methodischen Grundlagen erscheinen dennoch wünschenswert, um der Politik in Diskriminierungsfragen bessere Entscheidungsgrundlagen liefern zu können.

Kooperation

Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

Der Autor

Martin Huber ist Professor für Angewandte Ökonometrie und Politikevaluation an der Universität Freiburg i.Ü. In seiner Forschung befasst er sich mit der Entwicklung und Anwendung von statistischen (insbesondere mikroökonometrischen) Verfahren zur Messung der kausalen Effekte von wirtschaftspolitischen Entscheidungen/Interventionen der öffentlichen Hand und privater Akteure, vorwiegend in den Bereichen der Arbeitsmarkt-, Gesundheits- und Bildungsforschung. Nach seinen Diplomstudien in "Volkswirtschaftslehre" und "Internationale Wirtschaftswissenschaften" an der Universität Innsbruck absolvierte Martin Huber 2010 das Doktoratsstudium "Ph.D. in Economics and Finance" an der Universität St. Gallen, wo er bis 2014 als Assistenzprofessor tätig war, ehe er dem Ruf nach Freiburg folgte.

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