Rumäniens politische Klasse: Gehasst und zutiefst verachtet

Eine Brandkatastrophe lässt Feuer des Missmuts im ganzen Land auflodern.

Die bereits seit der Wahl von Klaus Johannis zum Präsidenten schwelenden Unruhen in Rumänien sind jetzt in eine landesweite Revolte umgeschlagen. Der öffentlich ausgetragene Krieg der Worte zwischen der Regierung und Präsidentschaftskanzlei, verkörpert durch den inzwischen zurückgetretenen Ex-Premier Victor Ponta und Staatspräsidenten Johannis, tobte auf allen Fernsehkanälen, gespickt mit persönlichen Beleidigungen und gegenseitigen Schuldzuweisungen.

Johannis verlangte wiederholt den Rücktritt des wegen Korruption angeklagten Ponta. Der reagierte mit Hohn und Spott gegen den in Brüssel, New York oder bei den Salzburger Festspielen weilenden Johannis. Darüber, ob der Staatspräsident oder der Regierungschef bzw. der Außenminister Rumänien im Ausland vertritt, streiten die jeweils Beteiligten bereits seit der Revolution 1989.

Zwischen Johannis und Ponta ist der Streit darüber eskaliert. Denn beide Herren waren stets reisefreudig. Somit fuhr der Ministerpräsident nach Jordanien und Mexiko, während Johannis sich darum bemühte, immer neue Einladungen aus dem Ausland zu lukrieren. Währenddessen wuchs die Zahl der bessere Arbeitsbedingungen im Ausland suchenden Rumänen auf nahezu zwei Millionen.

Die Colectiv-Katastrophe

Der Tod eines die Eskorte des inzwischen ebenfalls zurückgetretenen Innenministers Gabriel Oprea begleitenden Polizisten am 20. Oktober war das erste Fanal. Es ist inzwischen durch die Brandkatastrophe in der populären Bukarester Nachtbar Colectiv am 30. Oktober zu einem regelrechten Lauffeuer geworden, das bereits im ganzen Land auflodert.

Bisher 47 tote Jugendliche hat der während eines Rockkonzerts durch Zünden von Sprühkerzen ausgelöste Brand in der übervollen Nachtbar bis jetzt verursacht. Täglich sterben weitere der Schwerstverwundeten. Manche werden mit Militärtransporterflugzeugen in ausländische Krankenhäuser gebracht, auch nach Österreich, weil es in Rumänien zu wenig Spezialbetten für Brandverletzte gibt.

Korrupte politische Klasse

Seit Jahren wächst die Unzufriedenheit der Bevölkerung, insbesondere der Jugend Rumäniens. Hauptauslöser sind die unverschämten Korruption und Vetternwirtschaft der Politiker aller Parteien, von Ministern bis hinunter zu den Bürgermeistern in der Provinz. Der nach der Revolution gegen das kommunistische System Ceauşescus 1989 entstandene Reichtum der Oligarchen schürt den Hass, das Misstrauen und die Verachtung für die zutiefst korrupte politische Klasse.

Rumänien ist Mitglied von Nato und EU, außenpolitisch also klar positioniert. Innenpolitisch jedoch ist das Land derzeit völlig zerrissen. Einige Journalisten schreiben bereits von Maidan-ähnlichen Verhältnissen: einerseits richtig, andrerseits aber unvergleichbar, denn alle sind sich darüber einig, dass Rumänien zur westlichen Hemisphäre gehört. Aber der Gefahr und der Machtgier des nahen russischen Nachbarn sind sich in Rumänien alle bewusst.

Staatspräsident Klaus Johannis könnte jetzt die gesamte Macht an sich reißen, doch ist er nicht der Mann dafür. Er verzettelt sich eher in kleinen innenpolitischen Feldzügen gegen seine Gegner. Als er – sechs Tage nach der Tragödie – endlich am Universitätsplatz auftauchte, wo sich seit der Tragödie Tag und Nacht Demonstranten versammeln, wurde er ausgepfiffen und beschimpft.

Rumänien ist mehr als 25 Jahre nach der Revolution in eine tiefe Selbstfindungskrise geraten. Und niemand weiß, wie diese Krise ausgehen wird.

Ioan Holender (geboren 1935 in Timişoara/Temeswar in Rumänien) war von 1992 bis 2010 Direktor der Wiener Staatsoper.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2015)

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