Russland wies die schweren Dopinganschuldigungen der Wada-Kommission demonstrativ gelassen als "nicht stichhaltig" zurück. Dem scharf kritisierten Testlabor in Moskau wurde die Akkreditierung vorerst entzogen.
Moskau/Wien. Die Anschuldigungen der Ermittlungskommission der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada gegen die russische Leichtathletik wiegen schwer, im Kreml aber reagierte man demonstrativ gelassen auf den Vorwurf eines flächendeckenden Dopingsystems mit staatlicher Protektion. „Uns bringt nichts in Verlegenheit“, sagte Sportminister Wladimir Mutko, dem Kenntnis und Deckung des Systems sowie direkte Eingriffnahme angelastet werden. „Solange es keine Beweise gibt, fällt es schwer, die Beschuldigungen anzunehmen“, ergänzte Sprecher Dmitri Peskow und bezeichnete den Bericht als „nicht stichhaltig“. Man werde die 323 Seiten „gründlich studieren“ und die „geeigneten Maßnahmen umsetzen“. Mutkos Rücktritt stehe nicht zur Debatte.
Für den russischen Verband geht es jedoch nicht nur um die Reputation, sondern auch um die sportliche Zukunft. Folgt der Weltverband (IAAF) dem empfohlenen Maßnahmenpaket der Kommission, drohen drastische Sanktionen: Russland könnte als kompletter Landesverband von allen internationalen Wettbewerben ausgeschlossen werden.
IAAF-Entscheid im November
IAAF-Präsident Sebastian Coe hat den Vorstand bereits mit der Prüfung der Causa beauftragt und dem russischen Verband bis Ende der Woche Zeit für eine offizielle Stellungnahme gegeben. Eine Entscheidung über Sanktionen wird voraussichtlich bei der schon länger angesetzten IAAF-Sitzung am 26. und 27. November in Monte Carlo fallen, bei der auch der Korruptionsskandal rund um Ex-Präsident Lamine Diack auf der Tagesordnung steht. Gegen den Senegalesen wird wegen Bestechlichkeit und Geldwäsche in Zusammenhang mit der Vertuschung von (russischen) Dopingfällen ermittelt.
Die erste der 14 von der Kommission empfohlenen Maßnahmen setzte die Wada selbst und entzog am Dienstag dem Moskauer Testlabor vorläufig die Akkreditierung. Der Einrichtung wird die Nichteinhaltung internationaler Standards sowie die absichtliche Verschleierung bzw. Zerstörung auffälliger Dopingproben vorgeworfen.
Auch die Namen jener Personen, für die die Kommission aufgrund ihrer Verwicklung in den Skandal eine lebenslange Sperre fordert, wurden publik (siehe Profil). Die IOC-Kommission wird bis zur Sitzung im Dezember in Lausanne den nachträglichen Entzug der Olympia-Medaillen prüfen.
Während weltweit Entsetzen über den „Schweinestall Leichtathletik“ („Neue Zürcher Zeitung“) herrscht, bleibt die Frage offen, ob sich die kriminellen Machenschaften in Russland nicht auch auf andere Sportarten erstrecken. Fritz Sörgel, deutscher Dopingexperte: „Wenn man das Labor im Griff hat, dann ist das im Prinzip in jeder Sportart machbar.“ (swi)
IM VISIER DER WADA
Athletinnen: Maria Sawinowa-Farnossowa (800 m, Olympiasiegerin 2012), Jekaterina Poistogowa (Olympia-Dritte 2012 über 800 m), Anastassija Basdyrewa (400 und 800 m, russische Meisterin), Kristina Ugarowa (1500 m),
Tatjana Mjasina (Mittelstreckenläuferin).
Trainer: Alexej Melnikow (Cheftrainer Langstrecken), Wladimir Kasarin (800 m), Wladimir Mochnjew (Mittelstrecke), Viktor Tschegin (Cheftrainer Gehen).
Mediziner: Sergej Portugalow (Chefarzt im Russischen Leichtathletik-Verband).
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2015)