Die Staatsanwaltschaft Wien findet sich im Fall Alijew mit den Freisprüchen vom Vorwurf des Doppelmordes ab – obwohl sie angekündigt hat, diese zu bekämpfen.
Wien. Der sogenannte Alijew-Prozess sorgt auch neun Monate nach dem Tod des früheren kasachischen Botschafters für brisante Wendungen: Am Mittwoch wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Wien die Freisprüche in dem rund um die Figur Rachat Alijew geführten Doppelmordprozess doch nicht bekämpfen wird. Ursprünglich wurde von der Anklagebehörde, die jahrelang international ermittelt hat, sehr wohl eine Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet. Dieses Rechtsmittel wurde aber zurückgezogen.
Rachat Alijew stand im Mittelpunkt des in Kasachstan „handelnden“ Falls. Kurz vor Beginn des gegen ihn geführten Mordprozesses beging er in seiner Einzelzelle der Justizanstalt Wien Josefstadt Suizid: Er erhängte sich nach der Einnahme von Beruhigungsmitteln.
Seine beiden mutmaßlichen Komplizen, der Exboss des kasachischen Geheimdienstes KNB, Alnur Mussajew (61), und der ehemalige Alijew-Leibwächter Vadim Koshlyak (42), standen damals freilich weiterhin unter Doppelmordanklage. Nur: Diese hielt der Prüfung durch die acht Geschworenen nicht stand. Fazit: Es erfolgten Anfang Juli dieses Jahres in dem viel beachteten „Prozess des Jahres“ ebenjene Freisprüche, mit denen sich die Staatsanwaltschaft nun abfindet.
Wer tötete dann die beiden Banker?
Es klingt doch ein bisschen nach Kapitulation, wenn die Sprecherin der Behörde, Nina Bussek, eingesteht: Man sei nach eingehender Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass sich an den Freisprüchen in der zweiten Instanz (also vor dem Obersten Gerichtshof) nichts ändern werde. Das heißt, dass es trotz intensiver Nachforschungen der österreichischen Behörden (Staatsanwaltschaft, Polizei) und der Befragung von ungefähr 200 Zeugen nicht gelungen ist, die im Februar 2007 in Almaty, Kasachstan, erfolgte Tötung der beiden kasachischen Bankmanager Zholdas Timralijew und Aybar Khasenov hinreichend aufzuklären. Jedenfalls hat der Anklagestandpunkt das Wiener Schwurgericht nicht überzeugen können. Und die beschuldigten Männer selbst haben die ihnen angelasteten Morde sowieso stets bestritten.
Timralijew und Khasenov arbeiteten in Spitzenpositionen jener kasachischen Bank (Nurbank), an der auch Alijew beteiligt war. Der bei seinem Suizid 53 Jahre alte Exbotschafter war, wie berichtet, einst der Schwiegersohn des kasachischen Despoten Nursultan Nasarbajew gewesen. Als Motiv für die Ermordung der Banker hatte die Anklage eine Art Racheakt Alijews angenommen. Letzterer habe demnach herausgefunden, dass die beiden späteren Opfer Kreditgeschäfte gemacht hätten, die er nicht akzeptieren wollte.
Witwen geben nicht nach
Was bleibt nach dem Rückzug der Anklagebehörde? Hier kommt nun die Wiener Anwaltskanzlei Lansky, Ganzger und Partner (LGP) ins Spiel. Diese vertritt die Witwen der Mordopfer. Als sogenannte Privatbeteiligtenvertretung führt LGP den Kampf gegen die Freisprüche weiter. „Wir haben Rechtsmittel eingelegt, an deren Erfolgsaussicht glaube ich“, sagte Anwalt Gabriel Lansky zur Austria Presse Agentur.
Bleibt vorerst unter dem Strich ein vergleichsweise untergeordneter Teilschuldspruch für Koshlyak: Der Ex-Leibwächter und Sicherheitsberater war im Juli in einem einzigen Anklagepunkt schuldig erkannt worden. Bei ihm gingen die Geschworenen davon aus, dass er gemeinsam mit Alijew die Banker am 31. Jänner 2007 unter einem Vorwand in ein Büro der Bank gelockt hatte. Dann soll er an der Verschleppung von Timralijew beteiligt gewesen sein. Wegen Freiheitsentziehung bekam Koshlyak zwei Jahre teilbedingte Haft. Auch mit dieser Entscheidung erklärte sich die Staatsanwaltschaft nun einverstanden. Die angemeldete Berufung wurde ebenfalls zurückgezogen.
„Zumindest die Staatsanwaltschaft hat erkannt, dass das Strafverfahren sinnlos ist.“ Dies sagte Koshlyak-Verteidiger Walter Engler am Mittwoch angesichts des Rückziehers der Anklage. Bedauerlich sei, dass diese Einsicht erst nach sieben Jahren Ermittlungen gekommen sei. Engler hatte gegen die zweijährige teilbedingte Freiheitsstrafe für seinen Mandanten ebenfalls Rechtsmittel angemeldet. Fraglich ist, ob er diese nun ausführen wird. Er müsse das jetzt erst mit seinem Mandanten besprechen, so der Verteidiger.
Wirbel um Rolle des Ministers
Schon lang vor Verhandlungsbeginn hatte die Causa Alijew für heftige Debatten gesorgt, da der derzeit amtierende, von der ÖVP gestellte Justizminister, Wolfgang Brandstetter, vor seiner Zeit als Mitglied der Bundesregierung Alijews Rechtsbeistand war. Brandstetter hatte den umstrittenen Diplomaten in einem Auslieferungsverfahren vertreten, das von Kasachstan angestrengt worden war.
Im Zuge dessen hatte Brandstetter seinem Mandanten zu einem Aufenthaltstitel in Österreich verholfen: Er meldete den früheren Diplomaten (Alijew war seinerzeit auch vermögender Großunternehmer) in seiner niederösterreichischen Heimatgemeinde Eggenburg an – in einem Haus, das einer Firma gehörte, an der Brandstetter beteiligt war.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2015)