"Parallelgesellschaft": Österreich scheitert an der Asylkrise

Symbolbild: Asylwerber
Symbolbild: Asylwerber(c) Herbert Naubauer (APA)
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Ghettoähnliche Massenlager, Demonstrationen und eine stete Unfreundlichkeit: Das könnte Österreich laut Migrationsexperten im schlechtesten Fall 2016/17 bevorstehen.

Ein Abklingen des Flüchtlingsstromes nach Europa und Österreich ist momentan nicht in Sicht. Gleiches gilt für eine rot-schwarze Einigung hinsichtlich des Umgangs mit den Asylwerbern. Lassen sich Bundesregierung und Europäische Union noch lange Zeit, droht die Handhabung der Krise immer schwieriger zu werden. „Der einwandernden Bevölkerung wird die Schuld an allem gegeben werden, was nicht funktioniert“, warnt August Gächter vom Zentrum für soziale Innovation. Bleibt das so, stünden bald Unsicherheiten und Argwohn auf der Tagesordnung. Ähnlich beschreibt Anny Knapp, Obfrau des Vereins Asylkoordination Österreich, das Worst-Case-Szenario für die Republik: „Die Stimmung wird bei der länger ansässigen Bevölkerung schlechter, Zuwanderer werden mit Depressionen und einer zunehmenden gesellschaftlichen Isolation zu kämpfen haben.“ Um das zu verhindern, müsste rasch und entschlossen gehandelt werden.

Die „Presse“ hat in fünf Punkten aufgegliedert, wie die Zustände in der Republik 2016/17 im schlechtesten Fall aussehen könnten. (>>> Zum Positivszenario)

Kontrolle / Grenzschutz

„Schon heute zeigt das Beispiel Spielfeld, wie Grenzschutz nicht funktioniert“, sagt Gächter. Es entstehe der Eindruck mangelnder Führungskompetenz der eingesetzten Sicherheitsbeamten, um eine geordnete Aufnahme zu ermöglichen. „Werden diese Mängel nicht behoben, wird die Bevölkerung äußert unruhig werden“, warnt der Integrationsexperte. Zeigen würde sich das in einem allmählichen Rechtsrutsch der Parteien und am Wahltag. Protestzüge und Gegendemonstrationen dürften häufiger auftreten, was die Exekutive neuerlich unter Druck setzen werde. Knapp sieht den Knackpunkt in einem „zumindest minimalen Verteilungsmechanismus“ innerhalb der EU. Denn, „die Länder, die jetzt schon die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben, werden das nicht unbegrenzt machen“. Die Folge: vehemente Abschiebungen, eine Aufrüstung an den EU-Außengrenzen sowie Zäune zwischen den Mitgliedsstaaten. „Geht es so weiter, wird das Prinzip des freien Personenverkehrs innerhalb des Schengenraums der Vergangenheit angehören“, sagt Knapp, die für den schlechtest möglichen Fall ein Bild von Soldatenreihen an den Grenzen sowie tieffliegenden Hubschraubern zeichnet - „um Ankommende zu verschrecken“.

Integration

„Die Grundstimmung wird bei anhaltender Misslage schlechter, die schon länger in Österreich ansässige Bevölkerung wird deutlicher das Gefühl nach außen kehren, sie würde zu kurz kommen“, sagt Asylrechtsexpertin Knapp. Die Unzufriedenheit könnte dann in Aggression – verbaler oder physischer Art – umschlagen und das Erstarken rechtsradikaler Gruppierungen bedingen. Gächter geht von einer verbreiteten Kontaktverweigerung durch die österreichische Bevölkerung aus: „Das drängt die Flüchtlinge in einen Rückzug.“ Ein Scheitern wäre für ihn auch das Aufkommen von Gerüchten, sowohl unter den Österreichern, als auch unter den Asylwerbern. Es würden Befürchtungen und Ängste geschürt, die in einer „Parallelgesellschaft“ gipfeln würden – und Österreicher wie Flüchtlinge anfällig für Ideologien machten, „die diese dann dazu treiben, wieder irgendwohin in den Kampf ziehen zu wollen“.

Bildung

Keine Anerkennung, keine Aussicht. Knapp und Gächter warnen vor zwei Szenarien: 1) Mitgebrachte Abschlüsse werden nicht anerkannt, 2) der Bildungshunger jugendlicher Migranten kann nicht gestillt werden. Worst-Case wäre für die Expertin die Situation, dass „es verabsäumt wird, adäquate Angebote in entsprechendem Umfang und notwendiger Intensität bereitzustellen“. Denn, die hiesige Bevölkerung messe den Integrationswillen der Neuankömmlinge vor allem an deren Fähigkeit, Deutsch zu sprechen. Tun diese das nicht, „wendet man sich ab und denkt sich: Die wollen ja eh nicht“, ergänzt Soziologe Gächter. Auf der anderen Seite wären die Asylwerber mit einem Misserfolg konfrontiert, wenn sie zwar lernen wollten, ihnen dafür aber keine Möglichkeit geboten werde. Problematisch sei auch die Durchmischung der Schulklassen: 18-Jährige, die die Schule wegen der Flucht abgebrochen hätten, könnten nicht mit 15-Jährigen in eine Klasse gesteckt werden. „Das wäre sozial schwierig“, sagt Gächter. „Ghettoklassen“ bestehend aus Migranten würden somit 2017 keine Seltenheit mehr darstellen.

Arbeit

In Zeiten der Krise lähmt sich die Bürokratie selbst: Anstatt rasche Asylverfahren zu ermöglichen, harren Flüchtlinge auch 2016/17 monatelang ihres positiven Asylbescheids, nichts geht ohne ein Ja oder Nein des Innenministeriums. Neben der Ausbildung bleibt die Arbeitspraxis auf der Strecke: „Alle zwölf Jahre erleben wir eine Flüchtlingskrise“, sagt Gächter. Vor 20 Jahren seien Bosnier nach Österreich geflohen, vor zehn Jahren Tschetschenen. „Nach zehn Jahren hatten wir bei den Bosniern eine Erwerbstätigkeitsrate von 80 Prozent, bei den Tschetschenen sind es 50 Prozent, bei den nun kommenden Syriern und Afghanen wird es 2015 wohl nicht so gut aussehen; ein Wirtschaftsaufschwung ist nicht in Sicht“, prophezeit der Migrationsforscher. Das werde sich in den Statistiken widerspiegeln und die Alt-Österreicher werden sagen: „Die sind nur hergekommen, um sich in die soziale Hängematte zu legen.“ Knapp: „Die Flüchtlinge von heute werden im schlimmsten Fall Probleme beim Selbsterhalt haben, keine Aussicht auf Eingliederung in den Arbeitsmarkt, da ihre Qualifikationen nicht er- bzw. anerkannt werden.“ Die Folge: Depressionen. Sollten sie doch Arbeit finden, werden sie „als Konkurrenz gesehen und Vorurteile nach dem Muster – die nehmen uns die Jobs weg – werden inflationär“.

Wohnen

Schon 2015 ist die Lage am Wohnungsmarkt angespannt: Es gibt zu wenig günstige Wohnungen. Setzt die Regierung keine Maßnahmen, lautet der Befund: Tendenz anhaltend. „Schon heute wird die Knappheit am Wohnungsmarkt den Flüchtlingen in die Schuhe geschoben“, sagt Gächter. „Man hört: Die Asylwerber treiben die Preise in die Höhe.“ Und die Kosten für der Sozialleistungen. „Wohnungszuschüsse werden vermehrt benötigt, die Finanzierung der Sozialleistungen so lange wackeliger, bis sie in ihrem Umfang reduziert werden“, malt der Soziologe schwarz - „und das auch für eingesessene Inländer“. Nächster Schritt: „Die Steuern werden erhöht und wieder wird man sich auf die Asylwerber ausreden.“ Knapp sieht noch ein anderes Problem auf das Österreich der nächsten Jahre zukommen: „Fehlen weiterhin kleine, günstige Wohnungen, wird es nicht nur zu Ghettoisierung kommen, sondern wir werden am Staatsgebiet bald Massenlager finden – völlig überfüllt und fernab jeglicher Hygienestandards.“

Fazit: Die kommenden Monate werden in der Innen- und Europapolitik verstreichen, ohne dass effiziente Lösungen erarbeitet wurden. Auf dem Tapet werden die Eigeninteressen der Nationalstaaten bzw. in den Nationalstaaten die Interessen einzelner Parteien stehen – anstatt das Gemeinwohl. Asylwerber werden in „Ghettos“ auf engem Raum zusammenleben, die deutsche Sprache bleibt ebenso auf der Strecke wie eine erfolgreiche Integration am Arbeitsmarkt. Der Grund: zu viel Bürokratie, zu wenig Handlungswille.

Hintergrund des Artikels

Die „Presse“ hat vier Experten befragt, wie Österreich in den kommenden zwei Jahren aussehen könnte, wenn die richtigen bzw. die falschen Maßnahmen im Umgang mit der Flüchtlingskrise gesetzt werden. Je zwei Experten wurden zu dem bestmöglichen Fall befragt die anderen beiden sollte ein Negativszenario andenken. Das Ergebnis waren zwei Artikel, aufgegliedert in die fünf Bereiche Kontrolle/Grenzschutz, Integration, Bildung, Arbeit und Wohnen.

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