Syrienkonferenz: Die Doppelstrategie der Amerikaner

U.S. Secretary of State John Kerry speaks during a news conference in Tunis
U.S. Secretary of State John Kerry speaks during a news conference in Tunis(c) REUTERS (ZOUBEIR SOUISSI)
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Vor der Außenministerrunde herrschte dicke Luft im Wiener Imperial. Iran und Russland lehnen offenbar UNO-Zeitplan ab. Die USA erhöhen indes die Schlagzahl gegen IS.

Wien. John Kerry gibt sich keinen Illusionen hin. Eine Lösung in der Syrienkrise zu finden, sei ein „mehrjähriges Unterfangen“, erklärte der US-Außenminister vor seinem Abflug zur Wiener Syrienkonferenz. Er erinnerte sogar daran, wie lange der Bürgerkrieg im Libanon gedauert hat: fast 16 Jahre.

In seiner Grundsatzrede vor dem US-Institut für Frieden legte Kerry die Grundzüge der US-Doppelstrategie in Syrien dar. Die USA erhöhen neben ihrer diplomatischen auch ihre militärische Schlagzahl im Krieg gegen die Milizen des „Islamischen Staats“. Derzeit fliegen die US-Luftwaffe und ihre Verbündeten rund 40 Luftangriffe pro Nacht, deutlich mehr als zu Beginn der Militäraktion vor 14 Monaten. Seit ein paar Wochen erst können Kampfflugzeuge vom türkischen Stützpunkt Inçirlik starten.

Dabei nehmen sie nicht nur Führungskader des IS wie Jihadi John ins Visier, sondern in der „Operation Sturmflut II“, benannt nach Luftangriffen auf rumänische Ölfelder der Nazis im 2. Weltkrieg, auch Ölförderanlagen der Terroristen. Laut US-Schatzamt erwirtschafteten die Jihadisten mit dem schwarzen Gold zuletzt 40 Millionen Dollar pro Monat.

„Kein Frieden mit Assad“

Ihre Ölgeschäfte wickle der IS auch mit dem Regime von Präsident Bashar al-Assad ab, behauptete Kerry in seiner Rede. Er sprach von einer „symbiotischen Beziehung“, von gegenseitiger Abhängigkeit der „symbolischen Feinde“, die einander nur selten attackiert hätten.

Ziel der Diplomatie müsse es sein, dem syrischen Volk eine richtige Wahl zu geben, und zwar nicht zwischen IS und Assad. Von der Opposition zu verlangen, Assad zu vertrauen und als Führer zu akzeptieren, sei ein „Non-Starter“ für Verhandlungen. Es sei ein echter Übergang nötig, sagte Kerry.

„Weder Friede noch ein Sieg gegen IS sind möglich, solange Assad an der Macht bleibt“, sagte Kerry. Und er machte auch kein Hehl daraus, dass Russland und der Iran der gegenteiligen Auffassung sind. Sie wollen Assad im Spiel halten.

Bei der letzten Syrienkonferenz vor zwei Wochen in Wien konnte diese Streitfrage noch umschifft werden. Die 19 Chefdiplomaten der Regional- und Supermächte einigten sich unter der Führung Kerrys und seines russischen Kollegen Sergej Lawrow trotzdem auf eine gemeinsame Erklärung: Am Ende sollen ein Waffenstillstand und Wahlen die große Kluft überbrücken. Und die Brücke, so der Auftrag, soll UN-Sonderbeauftragter Staffan de Mistura in Verhandlungen mit Syriens Opposition und dem Regime errichten. Doch darf Assad bis zu den Wahlen im Amt bleiben? Und kann man ihm nach viereinhalb Jahren Bürgerkrieg und fast 300.000 Toten über den Weg trauen?

Nach Informationen der „Presse“ wollte der UN-Sonderbeauftragte der großen Außenministerrunde bereits am heutigen Samstag im Wiener Hotel Imperial einen Zeitplan mit detaillierten Etappenzielen vorlegen. Doch bei den Vorgesprächen in den drei Arbeitsgruppen, die De Mistura zu den Themen Terror, Opposition und Humanitäres etablieren wollte, herrschte dem Vernehmen nach dicke Luft. Der ganze Prozess stehe bereits an der Kippe. Offenbar gefallen den Russen und den Iranern die Ideen des Italo-Schweden nicht. Beide Mächte sind mittlerweile militärisch aktiv in Syrien, um Assad zu stützen.

Acht-Punkte-Plan der Russen

Russland hat vor einigen Tagen einen eigenen Acht-Punkte-Plan für Syrien vorgelegt. Laut Nachrichtenagentur Bloomberg strebt der Kreml eine 18-monatige Übergangszeit an, an deren Ende Präsidentschaftswahlen stehen sollen. Und da soll theoretisch auch Assad wieder antreten können, der inzwischen mit der Opposition eine neue Verfassung ausarbeiten und gleichzeitig die Kontrolle über Armee und Außenpolitik behalten soll.

De Mistura hat wohl andere Vorstellungen. Ein kleines Zugeständnis erreichte er. Assads Regime sicherte schriftlich zu, keine „arbiträren Waffen“ mehr einzusetzen. Ein hohl klingendes Versprechen, wenn man bedenkt, dass Assads Armee den Einsatz von Fassbomben stets leugnete und allein im Oktober geschätzte 1500 abwarf.

De Mistura will mit solchen Gesten des guten Willens Raum schaffen für einen Friedensprozess. Doch während er in Gesprächen um Gefangenenaustausch und lokalen Waffenstillstand rang, tobte der Krieg heftiger denn je. Assad erzielte mit russischer Hilfe Geländegewinne rund um Aleppo.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2015)

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