Das Schweigen des "Kaisers"

File photo of a former FIFA executive committee member Beckenbauer
File photo of a former FIFA executive committee member Beckenbauer REUTERS
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Deutschlands Fußball muss sich weiter mit der WM-Affäre 2006 auseinandersetzen. Ein Vertrag bringt DFB und Franz Beckenbauer in Erklärungsnot. Der Versuch einer Bestandsaufnahme.

Im Archiv des Deutschen Fußballbundes in Frankfurt ist es dunkel. Es gibt kein Tageslicht, 25 Rollschränke und überschüssige Devotionalien setzen hier Staub an. Es gibt Unmengen von Ordnern, die WM 2006 ist hier penibel dokumentiert. Nun wurde nach drei Wochen, solange lastet der Verdacht des gekauften Sommermärchens schon auf Deutschland, gefunden, was eigentlich keiner finden sollte. Ein Schriftstück, das Franz Beckenbauer schwer belastet.

Deutschland betreibt eine exzessive Form der Selbstzerfleischung. Täglich tauchen Beweise, Indizien, Vermutungen oder Lügen auf. Es gab Razzien beim Verband, Hausdurchsuchungen bei Funktionären. 6,7 Millionen Euro, diese Summe bringt das Fußballimperium ins Wanken. Warum lieh Ex-Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus dem OK das Geld? Wurde die WM, wurden Stimmen damit gekauft? War es Schmiergeld für Sepp Blatters Wahlkampf 2002? Wurde es zurückbezahlt, gibt es Steuerschulden – warum steht es als „Kulturbeitrag“ in der DFB-Bilanz? Warum wurde dieser Vertrag nach der WM nicht geschreddert – sondern fürsorglich aufbewahrt? Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Ein „Spiegel“-Bericht brachte den Stein jedenfalls vor drei Wochen ins Rollen. Mittlerweile ist Wolfgang Niersbach als DFB-Präsident zurückgetreten, Günter Netzer klagt Theo Zwanziger, und andere Funktionäre gingen auf Tauchstation. Nur am „Kaiser“ schien dieser Wirbel wie gewohnt vorbeizuziehen. Seine Bewunderer atmeten auf.

Sieg mit 12:11-Stimmen. Doch nun liegt dieser Vertrag vor, unterschrieben von Beckenbauer, paraphiert von Feder Radmann, seinem Berater und Salzburgs General der gescheiterten Olympia-Bewerbung 2014. Es ist ein Abkommen zwischen dem OK und Jack Warner, einer der zwielichtigsten Figuren im ganzen Fifa-Korruptionsfall.

Es ist eine Vereinbarung für Hilfsleistungen, Tickets, Freundschaftsspiele und Trainerunterstützungen. Es sollte kein Geld direkt, sondern über Umwege fließen. Warner soll jahrelang Geschäfte mit dem privaten Verkauf von WM-Tickets und TV-Übertragungsrechten betrieben haben. Brisant ist die Datierung: 2. Juli 2000. Vier Tage später wurde die WM 2006 vergeben. Deutschland siegte mit 12:11-Stimmen.

Es ist ein Hinweis auf den Versuch, Stimmen zu kaufen, anders ist das Schriftstück nicht zu deuten. Ob es je in Kraft trat? Rettete Warner Deutschland gar die WM? Während sich Radmann die Blöße gab, in „Bild“ beim „Leben meiner sechs Kinder zu schwören, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist“, schweigt Beckenbauer, der damalige OK-Präsident.

LOC Germany 2006 Limited. Eines ist gewiss, das geht aus FBI-Unterlagen hervor. Warner hatte ein Konto bei der First Citizen Bank in Trinidad/Tobago. Der klingende Name: LOC Germany 2006 Limited. Lokales Organisationskomitee, Deutschland 2006. Die Namensgebung allein ist höchst bezeichnend, aber weiterhin kein Beweis. Chuck Blazer, ein ebenfalls tief gefallener Fifa-Funktionär, hat es aber den Behörden so erzählt. Der Amerikaner tritt als Kronzeuge der US-Anklage auf, der langjährige Kollege Blatters, Warners und aller anderen Fifa-Granden nennt munter Namen, Verbindungen und Konten. Er will straffrei ausgehen.

Warner bestreitet generell Korruptionsvorwürfe. Auch den Vertrag mit Germany, nie gesehen, nie gehört. Aber wie kam er dann zu diesem Kontonamen? Auch Beckenbauer will sich zu dieser Causa nur noch „intern“ äußern. Dabei wartet Deutschland dringender auf Antworten denn je.

Während Karlheinz Rummenigge nach Bekanntwerden der Fakten einen „sensibleren Umgang mit der Persönlichkeit Beckenbauer“ forderte oder Rudi Völler dessen „Verdienste“ für Land und Fußball ins Spiel warf, kratzt die Medienlandschaft am Glanz des „Kaisers“. Es ist nicht mehr von Belang, dass das Idol 132.276 Flugkilometer durch 31 Länder zurücklegte, um WM-Werbung zu betreiben. Gepriesen werden nicht mehr Tore für Bayern, Cosmos, HSV, der WM-Sieg 1974 oder der WM-Triumph 1990 als Teamchef. Es drängt sich die 90-Tage-Suspendierung durch die Ethikkommission, die zuletzt auch Sepp Blatter oder Michel Platini gesperrt hat, in den Vordergrund. Sie erhält eine neue Blickrichtung. Wie auch manch Aussage über Scheichs, Funktionäre oder alte Spezis.

Beckenbauer war der Kommission 2014 Antworten schuldig geblieben zu den WM-Vergaben 2018 und 2020. Er wurde gesperrt, verpasste die WM in Brasilien und Deutschland stufte es als „Aprilscherz“, als Racheakt Blatters ein. Beckenbauer war aber damals Teil der Fußballregierung, die diese so umstrittenen Entscheidungen traf. Das Fifa-Urteil dazu steht noch aus, er gab verspätet auch Auskunft. Es dürfte milde ausfallen in Form einer Geldstrafe.

Der DFB (der Gegenwart) wertet den Vertrag als mögliche Bestechung. „Wenn etwas schriftlich konzipiert ist, egal, ob es formwirksam geworden ist oder nicht, ist das etwas, was diese Vermutung zulässt“, sagt Interimspräsident Reinhard Rauball überraschend emotionslos. Beckenbauer, für ihn gilt die Unschuldsvermutung, schweigt.

Auch Niersbach, DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock und Vize-General Stefan Hans – er fand den Vertrag – schwiegen. OK-Generalsekretär Horst R. Schmidt, 73, bestätigte aber der „Bild“-Zeitung: „Ich habe das Papier damals gesehen. Und ich war sicher nicht der Einzige, der es gesehen hat.“

Ein Aktenvermerk vom August 2000, gesichtet von Ermittlern der Kanzlei Freshfields, erklärt nun die Archivierung. Man kannte, so die „SZ“, alle Vorgänge, der DFB (der Vergangenheit) unternahm jedoch keinerlei Anstrengung, Aufklärung zu betreiben. Man wollte die WM unbedingt, also verschwand das Schriftstück in einem Rollschrank, im verdunkelten, abgesperrten Raum. Und das Sommermärchen wurde Wirklichkeit.

VERTRAG UND KONTO

LOC GERMANY
2006 Laut der US-Anklage gegen Jack Warner gibt es Verbindungen zu diesem Konto bei der First Citizens Bank in Trinidad & Tobago.

2004 wurden darauf 40.000 Dollar eingezahlt. Elf Tage zuvor kündigte Warner an, dass er eine Einzahlung in dieser Höhe erwarte, und wies an, dass das Geld auf sein „persönliches Konto“ transferiert wird.

Geheime Deals
Das Unternehmen Traffic und die Karibische Fußball-Union CFU, dessen Präsident Warner war, arbeiten mit TV-Rechten für  WM-Qualifikationsspiele.

Das Dementi
Der ehemalige Fifa-Vizepräsident Jack Warner bestreitet einen Vertrag mit Beckenbauer oder dem WM-OK 2006. „Ich hatte mit niemandem aus Deutschland für die WM 2006 eine Vereinbarung.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2015)

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