Krieg, eine Gebrauchsanweisung

Peter Kufner
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Schluss mit der Entschuldigungsunkultur, auf in den Krieg: Die internationale Gemeinschaft kann die Faschislamisten leicht besiegen, wenn sie nur will. Aber jeder – auch jeder Muslim – muss Partei ergreifen. Von Bernard-Henri Lévy.

Krieg also. Ein neuartiger Krieg. Ein Krieg mit und ohne Grenzen, mit und ohne Staat – ein in zweifacher Hinsicht neuartiger Krieg, weil er das entterritorialisierte Modell von al-Qaida mit dem alten territorialen Muster verbindet, zu dem der IS zurückgekehrt ist. Doch trotz allem, ein Krieg.
Und angesichts dieses Krieges, den weder die USA noch Ägypten noch der Libanon noch die Türkei noch heute Frankreich gewollt haben, zählt nur eine Frage: Was tun? Wie reagieren und siegen, wenn uns diese Art von Krieg trifft?

Erste Regel. Benennen. Das Kind beim Namen nennen. Es wagen, genau dieses schreckliche Wort „Krieg“ auszusprechen, dessen Verbannung an die Grenzen ihres Verständnisses, ihrer imaginären, symbolischen und realen Bezugspunkte die Aufgabe, ja, fast das Wesen und im Grunde Stärke wie Schwäche der Demokratien ist.

Krieg nötig wie in den 1930ern

Ich denke an die Größe und zugleich die Naivität von Léon Blum (Schriftsteller, sozialistischer Politiker und einstiger französischer Premierminister, Anm. d. Red.), der in einem berühmten Gespräch mit Élie Halévy bekannte, selbst in einer Zeit unerhörter neuer Gefahren könne er sich eine Demokratie im Krieg nur als Widerspruch in sich vorstellen. Ich denke an die Würde und zugleich Beschränktheit der großen humanistischen Geister am Ende der 1930er-Jahre – ihre Fassungslosigkeit, als Männer wie der Schriftsteller Georges Bataille zur Wiederbewaffnung einer Welt aufriefen, die wie unsere schon geglaubt hatte, mit dem verfluchten Krieg, ja mit der Geschichte abgeschlossen zu haben.

An einem solchen Punkt befinden wir uns heute wieder.
Man muss das Undenkbare denken, den Krieg. Man muss dieses Oxymoron akzeptieren – die Idee einer modernen Republik, die kämpfen muss, um sich zu retten. Und man muss sich umso mehr bemühen, dieses Undenkbare zu denken, als keine der Regeln, die Kriegstheoretiker von Thukydides bis Clausewitz ersonnen haben, auf den Scheinstaat IS anwendbar zu sein scheint. Dieser Staat weitet den Krieg umso mehr aus, als dessen Fronten unscharf sind und seine Mitstreiter den strategischen Vorteil haben, keinerlei Unterschied zu machen zwischen dem, was wir das Leben, und dem, was sie den Tod nennen.

Die französische Regierung hat das Undenkbare gedacht, auf höchstem Niveau. Französische Politiker aller Lager haben sich dem angeschlossen. Bleiben noch Sie, ich, die Gesellschaft im Großen und im Kleinen – wir alle, die wir jedes Mal Zielscheibe sind, Soldaten, ob wir es wollen oder nicht, Horte des Widerstands, mobilisierbar und zerbrechlich. Es ist zum Verzweifeln, es ist abscheulich, doch es ist nun einmal so, und wir müssen es dringend zur Kenntnis nehmen.

Zweite Regel. Der Feind. Wer Krieg sagt, sagt auch Feind. Und diesen muss man nicht nur als solchen behandeln (wie Carl Schmitt uns lehrt) – je nach Taktik mit Listen, mit vorgetäuschtem Dialog oder mit Überraschungsangriffen, keinesfalls aber, indem man Kompromisse schließt; man muss ihn vor allem (wie uns Augustinus, Thomas von Aquin und alle Theoretiker des gerechten Kriegs lehren) bei seinem richtigen Namen nennen.

Dieser Name lautet nicht: „der Terrorismus“. Auch nicht: „verstreute Einzelkämpfer“, „Irregeleitete“. Die ewige Entschuldigungskultur, der zufolge diese Todesschwadronen durch eine ungerechte Gesellschaft in den Extremismus getrieben und durch Elend und Demütigung gezwungen seien, junge Menschen zu töten, deren einziges Verbrechen darin bestand, Rockmusik, Fußball oder einen Herbstabend auf einer Caféterrasse genossen zu haben – diese Entschuldigungsunkultur beleidigt Menschen im Elend ebenso wie die Opfer der Anschläge. Nein.

Sie hassen den Geist der Städte

Diese Menschen haben es auf das angenehme, freie Leben abgesehen, das in den großen Metropolen hochgehalten wird. Diese Dreckskerle hassen den Geist der Städte ebenso wie – denn es ist ein und dasselbe – den Geist der Gesetze, des Rechts, die Autonomie der von alten Fesseln befreiten Individuen. Und wären sie nicht so kulturlos, könnte man ihnen eine Bemerkung Victor Hugos angesichts der Massaker im September 1870 durch die Kommune entgegensetzen (den während des Deutsch-Französischen Krieges gebildeten revolutionären Pariser Stadtrat, Anm. d. Red.): Wer Paris angreife, greife mehr an als Frankreich, denn Paris zerstören bedeute, die Welt zu zerstören.

Man muss diese Menschen Faschisten nennen. Besser: Faschislamisten. Genau diese Frucht sah der Schriftsteller Paul Claudel kommen, als er am 21. Mai 1935 in seinem Tagebuch, in einem Geistesblitz, wie nur sehr Große ihn haben, notierte: „Rede Hitlers; er schafft sich im Herzen Europas eine Art von Islamismus . . .“

Was ist der Vorteil dieses Akts der Benennung? Er verschiebt den Cursor dorthin, wo er hingehört. Er erinnert daran, dass Krieg mit dieser Art von Gegnern gnadenlos sein muss. Und er zwingt jeden, im arabisch-muslimischen Raum wie überall auf der Welt, zu sagen, warum er oder sie kämpft, auf wessen Seite und gegen wen.
Dies bedeutet natürlich nicht, dass der Islam per se mehr Affinität zu solchen Schandtaten hat als andere Diskurssysteme. Die Dringlichkeit dieses Kampfes darf uns nicht von einem zweiten, ebenfalls wesentlichen und entscheidenden Kampf ablenken – dem Kampf für den anderen Islam, den Islam der Aufklärung, den Islam, in dem sich die Erben von Massoud, Izetbegović oder Mujibur Rahman in Bangladesh wiedererkennen, von den kurdischen Nationalisten oder vom marokkanischen Sultan, der einst die heroische Entscheidung traf, gegen das Vichy-Regime die Juden seines Reichs zu retten.
Vielmehr muss man sich drei Dinge vor Augen halten.

Der Kampf Islam gegen Islam

Erstens, dass es im islamischen Raum (weil der Faschismus der Dreißigerjahre auf Europa beschränkt blieb) nie eine Vergangenheitsbewältigung und Trauerarbeit gegeben hat wie bei den Deutschen, den Franzosen, den Europäern überhaupt oder bei den Japanern.

Zweitens, dass man umso deutlicher zwei Visionen des Islam unterscheiden muss, die in einem Kampf auf Leben und Tod begriffen sind – einem Kampf, der genauer besehen und wenn man unbedingt diese Formel beibehalten will, der einzige wirkliche „Kampf der Kulturen“ ist.

Und drittens, dass diese Abgrenzung, diese Klärung der Frontlinie, an der sich die Anhänger eines Tariq Ramadan und die Freunde des großen Abdelhawahb Meddeb (tunesisch-französischer Autor und Islamkritiker, Anm. d. Red.) gegenüberstehen, in erster Linie von den Muslimen selbst vollzogen werden muss.

Ich kenne die Einwände dagegen. Ich höre die Gutmenschen aufheulen – wer brave Bürger dazu aufrufe, sich von einem Verbrechen zu distanzieren, das sie nicht begangen haben, bedeute doch, ihnen Komplizenschaft zu unterstellen und sie damit zu stigmatisieren!
Nein, das bedeutet es nicht. Denn das „Nicht in unserem Namen“, das wir von unseren muslimischen Mitbürgern erwarten, entspricht der Haltung der Israelis, die sich vor 15 Jahren von der Politik ihrer Regierung im Westjordanland distanziert haben. Es entspricht der Reaktion unzähliger Amerikaner, die 2003 gegen den absurden Irak-Krieg protestierten. Es entspricht dem Aufschrei so vieler Briten, die vor zwei Jahren verkündeten, dass es einen anderen Islam gebe als jenen, in dessen Namen man Passanten ersticht?– einen sanften, barmherzigen, der Toleranz und dem Frieden verpflichteten.

Das ist ein guter Aufschrei. Es ist eine gute Antwort. Vor allem aber ist es schlicht eine gute Kriegsstrategie. Man isoliert den Feind, beraubt ihn der Rückendeckung und bewirkt, dass er sich nicht mehr wie ein Fisch im Wasser einer Gemeinschaft fühlt, deren Schande er in Wahrheit ist.

Denn wer Krieg sagt, sagt auch unweigerlich Identifizierung, Ausgrenzung und wenn möglich Ausschaltung jenes Teils des gegnerischen Lagers, der innerhalb des eigenen Staates agiert.
Genau das tat Churchill, als er beim Kriegseintritt Großbritanniens über 2000 Personen inhaftieren ließ, weil er sie für innere Feinde hielt – zum Teil ihm sehr nahe Stehende wie seinen Cousin, die Nummer zwei der faschistischen englischen Partei Geo Pitt-Rivers.
Und bei aller Verhältnismäßigkeit muss man sich auch heute wieder dazu entschließen, indem man beispielsweise die Hassprediger verbietet, indem man noch genauer die tausenden Individuen überwacht, die bei den Behörden mit dem Buchstaben „S“ als Jihad-verdächtig vermerkt sind, oder indem man die sozialen Netzwerke in den Vereinigten Staaten dazu bringt, keine Aufrufe zu Selbstmordattentaten mehr zuzulassen.

Für Flüchtlinge, jetzt erst recht

Diese Maßnahmen sind heikel. Sie bewegen sich immer an der Grenze zum gesetzlichen Ausnahmezustand. Gerade deswegen dürfen wir auf keinen Fall das Recht und die Pflicht der Gastfreundschaft vernachlässigen, die wir den vor dem faschislamistischen Terror fliehenden syrischen Flüchtlingen schulden. Wir müssen weiterhin diese Migranten empfangen, während wir zugleich möglichst viele todesbereite Terrorzellen außer Gefecht setzen. Wir müssen noch mehr die Arme öffnen für jene, die vor dem IS flüchten, und gleichzeitig unerbittlich gegenüber jenen sein, die unsere Prinzipientreue ausnutzen, um sich in Europa einzuschleichen und hier ihre Untaten zu begehen.
Das ist kein Widerspruch, vielmehr die einzige Art, dem Gegner nicht den Sieg zu gönnen, auf den er abzielt – den Verzicht auf die offene, großzügige Art des Miteinander-Lebens, die unsere Demokratien kennzeichnet.
Und dieser Schritt, ich wiederhole es, kennzeichnet jeden gerechten Krieg: unterscheiden, wieder unterscheiden, immer unterscheiden.

In diesem Fall heißt das auch, der großen Mehrheit der französischen Muslime zu zeigen, dass sie nicht nur Verbündete sind, sondern auch Freunde und Mitbürger.
Schlussendlich zum Wesentlichen. Zur wahren Quelle dieser Welle des Schreckens. Zum Islamischen Staat, der ein Drittel von Syrien und des Iraks besetzt und der den Sprengmeistern von künftigen „Bataclans“ den Rückhalt bietet, die Kommandozentralen, die Schulen des Verbrechens und die Trainingslager.

Vergangene Woche war ich in Sindschar, wo die Peschmerga-Kämpfer mithilfe der internationalen Verbündeten einen entscheidenden Sieg errungen haben. Seit Juli habe ich für einen Dokumentar-Film über den Kampf, den die Kurden derzeit als Einzige auf diesem Territorium führen, Bilder anderer Kämpfe gesammelt, wo die IS-Soldaten mühelos in die Flucht geschlagen wurden. Angebliche Experten sprachen im Bosnienkrieg von den hunderttausenden Soldaten, die es brauche, um die ethnische Säuberung zu stoppen, tatsächlich reichten dann eine Handvoll Spezialeinheiten, ein paar Attacken. Genauso bin ich heute überzeugt, dass die Horden des IS viel tapferer sind, wenn es darum geht, junge Pariser in die Luft zu sprengen, als richtigen Soldaten der Freiheit die Stirn zu bieten.

Ich glaube, dass die internationale Gemeinschaft einer Bedrohung gegenübersteht, zu deren Beseitigung sie alle nötigen Mittel hat – wenn sie nur will.Warum tut sie es nicht? Warum geizen wir so mit der Hilfe für unsere kurdischen Verbündeten? Und was ist das für ein merkwürdiger Krieg, den die Vereinigten Staaten unter Barack Obama derzeit nicht gewinnen wollen?

Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, hier liegt der Schlüssel.
Und ich weiß, dass die Alternative klar ist: „No boots on their ground“ bedeutet „more blood on our ground“.

Aus dem Französischen übersetzt von Anne-Catherine Simon.

Zum Autor

Bernard-Henri Lévy, geb. 1948, gehört zu den bekanntesten Philosophen und Publizisten Frankreichs. Er war Mitbegründer der Nouvelle Philosophie, engagiert sich seit Jahrzehnten im öffentlichen Diskurs und direkt politisch. Er gibt das Journal „La Règle du Jeu“ heraus und ist Anteilseigner der Zeitung „Libération“.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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