Von Belgien bis Syrien: Die Spuren der Attentäter von Paris

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Ermittler in Paris und Brüssel konzentrieren sich auf Abdeslam, dessen Bruder Ibrahim sich am Freitag in die Luft gesprengt hat. Sie standen in Kontakt mit Abaaoud, der angeblich in Syrien die Fäden zog.

Zu Dutzenden marschierten die Spezialkräfte der belgischen Polizei im Brüsseler Problemviertel Molenbeek auf, vermummt und bis an die Zähen bewaffnet. Sie sperrten die Rue Delaunoy ab, Bombenspürhunde schnüffelten herum, bevor die Razzia losging. Bei dem Showdown zur Mittagsstunde erschütterten Detonationen die Szene, und Schüsse peitschten durch die Straßen. Die Polizei nahm einen Verdächtigen fest, die Jagd nach Salah Abdeslam schlug – entgegen einer ersten Erfolgsmeldung – indes fehl. Der 26-jährige Franzose, seit Sonntagabend per internationalem Haftbefehl zur Fahndung ausgeschrieben und laut Steckbrief 1,75 Meter groß, mit dunklem Haarschopf und braunen Augen, war erneut durchs Netz geschlüpft.

Die Abdeslam-Brüder und ihre Belgien-Connection waren nach der Terrorserie ins Fadenkreuz der Ermittler gerückt. Wie bei den Brüdern Saïd und Chérif Kouachi, die Drahtzieher der Anschläge auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ und den koscheren Supermarkt vor zehn Monaten, standen neuerlich Brüder mit arabischen Wurzeln im Visier. Ibrahim Abdeslam (31), der große Bruder und einer der Attentäter der Pariser Terrorserie, hatte sich Freitagnacht in der Brasserie Comptoir Voltaire in die Luft gejagt. Der schwarze Seat mit belgischem Kennzeichen, den er gemietet hatte, fand sich im Pariser Vorort Montreuil. Im Inneren stellte die Polizei drei Kalaschnikows sicher.

In Molenbeek inhaftierten die Behörden umgehend dessen Bruder Mohammed – um ihn bereits zwei Tage später wegen eines wasserdichten Alibis wieder auf freien Fuß zu setzen. Ohne es zu ahnen, war der französischen Polizei Samstagfrüh Salah, der dritte Bruder, bei einer Routinekontrolle in der Nähe der belgischen Grenze durch die Maschen gegangen. Im nordfranzösischen Cambrai stoppte sie im Zuge verschärfter Grenzkontrollen einen schwarzen Polo mit drei Insassen. Salahs Name schien allerdings nicht im Fahndungsregister auf, also winkten die Polizisten das Auto durch.

Mit französischer Staatsbürgerschaft in Brüssel geboren, haben die Abdeslam-Brüder ihre Jugend im berüchtigten Stadtteil Molenbeek verbracht. Alle drei waren der belgischen Justiz wegen Drogenhandels und Diebstahls notorisch bekannt, Ibrahim landete deshalb auch vor Gericht. Salah arbeitete als Techniker bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben in Brüssel, wurde nach zwei Jahren aber entlassen. Wie Ibrahim soll sich auch Salah danach längere Zeit in Syrien aufgehalten haben. Laut belgischen Medien stehe die Familie unter Schock. „Wir wussten, dass Ibrahim zunehmend radikaler wurde. Aber wir hätten uns so etwas von den drei Brüdern nie vorstellen können.“

Die Jagd nach Salah Abdeslam und dem dritten Terrorkommando hält derweil Frankreich und Belgien und darüber hinaus die Nachbarländer in Atem. In einer gemeinsamen Pressekonferenz beschworen die beiden Innenminister, der Franzose Bernard Cazeneuve und sein belgischer Kollege Jan Jambon, die Kooperation, die in der Vergangenheit längst nicht reibungslos geklappt hatte. Belgien eröffnete Verfahren gegen zwei Verdächtige, Frankreich stellte mehr als 100 Personen vorübergehend unter Hausarrest. Nicht nur bei Großrazzien in Paris und Brüssel, auch in Lille, Lyon, Marseille, Toulouse oder Grenoble lief die Terrorfahndung auf Hochtouren. In Norditalien hat sich die Polizei auf die Fersen des 32-jährigen Franzosen Baptiste Burgy gesetzt.

Drahtzieher in Syrien?

Von den Abdeslam-Brüdern führt die Spur nach Syrien, zu Abdelhamid Abaaoud, dem mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge, wie Quellen der Regierung in Paris nahelegen. Der 27-Jährige ist kein Unbekannter: Ein belgisches Gericht verurteilte ihn wegen der Rekrutierung von IS-Mitgliedern in Abwesenheit zu 20 Jahren Haft. Im Februar posierte der mutmaßliche IS-„Henker“ mit Koran und der schwarzen Flagge der Terroristen im IS-Magazin „Dabiq“. Darin brüstete er sich, zwischenzeitlich wieder in Belgien gewesen zu sein und einen Anschlag auf die „Kreuzzügler“ vorbereitet zu haben – und das, obwohl ihn die Geheimdienste seit seiner ersten Ausreise nach Syrien im Herbst 2013 jagten.

Auch Anfang dieses Jahres tauchte Abaaouds Name auf, als Belgiens Polizei im Zusammenhang mit den Anschlag gegen „Charlie Hebdo“ eine Terrorzelle aushob. Der aus Marokko stammende Islamist soll einen der Verdächtigen kontaktiert haben. Sein Handy wurde damals angeblich in Griechenland geortet. Medienberichten zufolge ist Abaaoud in eine Reihe von Terrorakten verwickelt, darunter auch den vereitelten Anschlag auf den Hochgeschwindigkeitszug Thalys im August. Wie die Abdeslam-Brüder wuchs auch er im Brüsseler Stadtteil Molenbeek auf.

Noch haben die Sicherheitsstellen nicht alle Attentäter identifiziert. Vor allem jener Terrorist, der vor dem Stade de France seinen Sprengstoffgürtel gezündet hat, gibt Rätsel auf. Ein syrischer Pass weist ihn als Ahmad al-Mohammad aus, geboren 1990 in Idlib und über die Balkanroute im Oktober nach Europa gekommen. Unklar war, ob der Pass gestohlen, gefälscht oder gekauft war. Die Fingerabdrücke stimmen indes mit jenen bei der Registrierung in Griechenland überein.

Zweifelsfrei steht die Täterschaft bei Samy Aminour und Bilal Hadfi fest, zwei Franzosen mit Syrien-Erfahrung im Alter von 28 und 20 Jahren. Aminour war seit einer Jemen-Reise vor drei Jahren auf dem Radar. Hadfi lebte, wie die Abdeslam-Brüder, in Belgien.

Auch der Name des 29-jährigen Ismael Omar Mostefaï, Sohn eines algerischen Vaters und einer portugiesischen Mutter und einer der Angreifer im Bataclan, war in den Polizeiakten abgeheftet – nicht nur wegen des Vorstrafenregisters des Kleinganoven, der kurz in einer Bäckerei gearbeitet hatte und insgesamt acht Mal verurteilt worden war. Wegen zunehmender Radikalisierung warfen die Pariser Sicherheitsdienste schon 2010 einen Blick auf ihn. Im Laufe des vergangenen Jahres warnte die Türkei die französischen Behörden explizit zwei Mal vor Mostefaï und seiner Syrien-Connection – angeblich ohne Reaktion aus Paris. Der Kontakt zu seinem älteren Bruder war schon vor Jahren abgerissen. Dieser wähnte Ismael in Algerien.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2015)

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