Der Pakt und die drei Fragezeichen

ROT-GR�NE KOALITION IN WIEN: PK / H�UPL; VASSILAKOU
ROT-GR�NE KOALITION IN WIEN: PK / H�UPL; VASSILAKOU(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Kalkulieren mit Unbekannten: Was das Koalitionsabkommen bringt, hängt von Finanzausgleich und Bildungsreform ab. Der einzige Coup von Rot-Grün wurde aus der Not geboren.

Im Jahr 2010 reichten zwei Worte, um das Wiener Regierungsprogramm zu beschreiben: rot-grün. Fünf Jahre später ist das Neue nicht mehr ganz so neu – und eine Kurzzusammenfassung nicht mehr ganz so einfach. Der Pakt birgt keine Sensationen, dafür viele Details und einige Fragezeichen. Um mit ihnen gleich zu beginnen: Tatsächlich wurde kühn mit ein paar Unbekannten kalkuliert. Die wichtigste ist der bevorstehende Finanzausgleich. Von ihm hängt ab, ob die Vorgabe „Nulldefizit ab 2016“ quasi situationselastisch interpretiert wird und ob sich Wien überhaupt leisten kann, was Rot-Grün da verspricht.

Das zweite Fragezeichen ist die bundesweite Bildungsreform. Für heute, Dienstag, steht die Entscheidung an. Ohne sie konnte bisher keiner der Stadtverantwortlichen erklären, wie die angestrebte Wiener Modellregion Gesamtschule aussehen könnte. Wird dann in öffentlichen Gymnasien die Unterstufe in der bisherigen Form de facto abgeschafft? Man weiß es nicht.
Ungeklärt ist auch immer noch der Lobau-Tunnel. Zwar gibt es eine Lösung, aber die wird von Grünen und SPÖ verschieden interpretiert. Laut Grünen werden Alternativen zu dem Tunnel geprüft. Laut SPÖ (und Asfinag) wurden bereits alle geprüft und verworfen. Weshalb die Grünen nun eine andere Taktik verfolgen und wegen des VW-Abgasskandals eine Neuaufrollung der Prüfung fordern. Kurz: Der Tunnel hat das Zeug punkto Konfliktpotenzial das neue Wahlrecht zu werden.

Schwerpunkt Bildung

Neben all diesen Unwägbarkeiten sticht im Koalitionspakt aber auch das Gegenteil hervor: Beständigkeit. So stehen etwa in der Verkehrspolitik die Zeichen unverändert auf Grün (z. B. mit verkehrsberuhigten Zonen in allen Bezirken). Im Umkehrschluss bedeutet das freilich, dass das Wahlergebnis kein allzu großes Nachdenken ausgelöst hat. Immerhin hatten beide Verluste.
Ein grundsätzliches Bekenntnis, die Außenbezirke, in denen die Unzufriedenheit mit Rot-Grün I hoch war, mehr ins Zentrum zu rücken, fehlt. Zugegeben, man hat sich im Sozialbereich viel einfallen – der Pakt ist recht „links“ –, auch einiges um hier treffsicherer zu werden. Und ja, in den diversen Kapiteln werden die Flächenbezirke bedacht. Aber von einer SPÖ, die im Wahlkampf die Abkehr von der Bobo-Politik ausrief, hätte man sich ein paar grundsätzliche Worte erwartet. Sie scheut vor solchen ja auch bei anderen Themen (von Toleranz bis TTIP) nicht zurück.

Apropos Prinzipielles: Inhaltlich ist Rot-Grün nur ein Coup gelungen und der aus Verlegenheit. Weil die SPÖ einen Stadtrat weniger hat, mussten dessen Agenden aufgeteilt werden. So landete die Bildung im Integrationsressort. Dort ist sie gut aufgehoben. Denn dass Bildung der Schlüssel zur Integration sei, ist nicht umsonst ein Stehsatz. Tatsächlich gehören Fragen der Integration – dazu gehört auch die Deradikalisierung – zu den größeren Herausforderungen der Stadt. Nicht nur wegen des langen Schattens von Paris. Wobei die Bildung in Wien laut ja neuerdings Heilmittel für eh alles ist: Arbeitslosigkeit, Soziales – sie soll es richten.
Wie passend, dass Bildung auch das Thema ist, bei dem Rot und Grün einander am nächsten sind – nun noch näher als zuvor: Die bisherige Stadtschulratspräsidenten, Susanne Brandsteidl (SPÖ), wurde von Jürgen Czernohorszky ersetzt, der deutlich grünaffiner ist als seine Vorgängerin. Brandsteidl verabschiedet sich damit zeitgleich mit ihrem privaten Partner: Rudolf Schicker, nunmehr Ex-SPÖ-Klubchef, ist auch kein expliziter Freund der Grünen.

Der PID-Chef geht

Es sind dies zwei Mini-Zugeständnisse an die Grünen, die sonst mit Personalwünschen abgeblitzt sind, was Maria Vassilakou wiederum intern in Bedrängnis bringt (siehe Artikel). Wobei es auch Ressorts gibt, die offenbar keiner unbedingt will. Etwa den Presseinformationsdienst (PID), der künftig ein Drittel weniger ausgeben soll (unklar ist, ob es bei den Kürzungen ums Gesamtbudget geht). Wo der PID künftig ressortiert, ist noch immer offen (gerüchteweise landet er bei Kultur- und Neo-Sportstadtrat Andreas Mailath-Pokorny). Fix ist nur, dass sein alter Chef nicht der neue ist: Oliver Stribl wechselt als Geschäftsführer zum Manstein Verlag.
Apropos Personal: Dass nur ein Gesicht in der Regierungsriege neu ist, ist eine traurige Bilanz. Die SPÖ hat zwar anders als die oberösterreichische ÖVP kein Frauenproblem, aber eines mit dem Nachwuchs. Das Klischee der verschworenen roten Clique hat sich – junge Gemeinderäte hin oder her – auch 2015 bestätigt. Wieder einmal.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2015)

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