Die Hoffnung von US-Präsident Barack Obama, die islamistische Terrorarmee IS in Syrien und im Irak einzuzäunen zu können, war falsch.
Washington. Im letzten Jahr seiner Amtszeit im Weißen Haus steht US-Präsident Barack Obama vor seiner möglicherweise wichtigsten sicherheitspolitischen Entscheidung: Sollen die USA den militärischen Kampf gegen die Terrorarmee des Islamischen Staates (IS) ausweiten, in letzter Konsequenz bis hin zur Entsendung einer US-geführten Armee nach Syrien?
Derzeit ist eine solche Eskalation des US-Engagements im seit mehr als fünf Jahren tobenden syrischen Bürgerkrieg ausgeschlossen. Obama unterstrich am Montag am Rande des G20-Gipfeltreffens im türkischen Antalya erneut, dass er keine größeren Kontingente amerikanischer Soldaten in den Orient zu entsenden gedenke. Seine zivilen und militärischen Berater stimmten darin überein, dass es „ein Fehler wäre“, Bodentruppen in den Kampf gegen den IS zu schicken. „Es ist am besten, nicht zuerst zu schießen und erst danach zu zielen“, sagte Obama. „Die Strategie, die wir verfolgen, ist richtig.“
Diesen amerikanischen Zugang zum Problem IS kann man so zusammenfassen: auf der militärischen Seite Bombenangriffe in Syrien und im Irak (rund 8000 seit ihrem Beginn vor etwas mehr als einem Jahr) sowie die Unterstützung vertrauenswürdiger kurdischer und sunnitischer Milizen mit Waffen und Militärberatern. Auf der diplomatischen Seite der Versuch, regionale Erzfeinde wie den schiitischen Iran und das sunnitische Saudiarabien, die Türkei, Katar und die Arabischen Emirate zum Ende ihrer Unterstützung syrischer Milizen zu bewegen. Eine Schlüsselrolle spielt Russland, doch auch eine rund 35-minütige Unterredung zwischen Obama und Präsident Wladimir Putin in Antalya brachte keine Annäherung.
IS-Drohung gegen Washington
Diese US-Strategie ist seit den Pariser Mordanschlägen vom vergangenen Freitag zweifelhaft, denn sie fußt auf der Annahme, dass der IS sich darauf beschränkt, im Zweistromland ein Kalifat aufzubauen, aber nicht im Ausland Terrorakte zu verüben. Nur wenige Stunden vor den Morden in Paris ist auf ABC News ein Interview mit Obama auf Sendung gegangen, in dem er erklärt hat, der IS sei „eingedämmt“. Manche Fachleute werten die zuletzt in Ankara, Beirut und Paris verübten Anschläge als Indiz dafür, dass der IS lokal an Macht verliert und sozusagen aus Not zu diesen terroristischen Taktiken greift. In jedem Fall fühlt man sich in den USA von diesem Phänomen nun direkt bedroht – auch, weil am Montag ein IS-Video auftauchte, in dem Washington mit Terroranschlägen gedroht wird.
Vier von Republikanern regierte Teilstaaten (Texas, Alabama, Arkansas und Michigan) erklärten am Montag, keine syrischen Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. „Das ist nicht amerikanisch“, warnte Obama. „Wir haben keinen religiösen Test für unser Mitgefühl.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2015)