Schengen-Abkommen: Der starke Drang zu neuen Grenzkontrollen

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Nach dem Anschlag in Paris fordern von Bayern bis Polen Regierungsvertreter ein Aus für offene Grenzen.

Berlin/Wien. Es dürfte nur ein Vorgeschmack sein: Seit dem Terroranschlag in Paris wird an Frankreichs Grenzen wieder verschärft kontrolliert, auch die Schweiz führt wieder Kontrollen durch. Die Bilder von Staus, die durch die temporäre Wiedereinführung von Grenzkontrollen in Deutschland und Österreich gegenwärtig sind, könnten bald zur Normalität werden. Denn es ist in der politischen und öffentlichen Debatte eine Dynamik entstanden, die das System offener Grenzen zunehmend in Frage stellt.

Wenn es nach dem Willen der bayrischen Regierung oder einigen osteuropäischen Staaten geht, soll die Ausnahme zur Regel werden und Grenzkontrollen die nationale Sicherheit wieder schützen. Frankreichs Europaminister Harlem Désir forderte bei einem Treffen der EU-Außenminister am Montag ein gemeinsames Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten. Und das bedeute bessere Grenzkontrollen – „sowohl innerhalb des Schengenraums als auch an unseren Außengrenzen“.

Am kommenden Freitag steht das Thema auf der Tagesordnung eines außerordentlichen Treffens der EU-Innenminister. Laut dem französischen Innenminister Bernard Cazeneuve gehe es bei der Sitzung um mögliche Änderungen des Schengen-Abkommens. Der 1985 abgeschlossene Vertrag sieht unter den teilnehmenden Ländern den gänzlichen Abbau aller Schlagbäume vor. Seit Ende der 1990er-Jahre öffneten sukzessive EU-Mitgliedstaaten und einige ihrer Nachbarn die Grenzen. Es war die gefeierte neue Reisefreiheit, die Überwindung der jahrzehntelangen Teilung Europas, als 2007 auch noch die osteuropäischen Länder teilnahmen. Die Flüchtlingswelle und der islamistische Terroranschlag in Paris drohen dem Schengen-Abkommen nun ein vorzeitiges Ende zu setzen. Das Schicksal der Schengenzone sei eher eine Frage von Wochen, als von Monaten, so der finnische Innenminister Petteri Orpo.

In immer mehr Schengen-Ländern werden die offenen nationalen Grenzen für den Flüchtlingsstrom, aber auch für Gewalttaten verantwortlich gemacht. Dass, wie es nun von der französischen Regierung heißt, vor allem die undichten Stellen an den Schengen-Außengrenzen für das erhöhte Sicherheitsrisiko verantwortlich seien, wird zum Nebenaspekt.

Die bayrische CSU forderte am Montag in einem Vorstandsbeschluss eine stärkere Kontrolle der Grenze zu Österreich. Bereits am Sonntag hatte Ministerpräsident Horst Seehofer vorgeschlagen, dass bayerische Polizisten an die Grenze beordert werden sollten.

Osteuropäische Kooperation

Während der Luxemburger Außenminister Asselborn vor schwerwiegenden Folgen warnte – allein in sein Land kämen täglich 170.000 Grenzgänger zur Arbeit –, wünschen sich einige osteuropäische Regierungen Zäune und vor allem die Kontrolle jedes einzelnen Einreisenden so rasch wie möglich zurück. Polens neuer Europaminister Konrad Szymański sieht die Sicherheit seines Landes gefährdet. „Polen muss die volle Kontrolle über seine Grenzen, über seine Asyl- und Migrationspolitik behalten“, sagte er. Gemeinsam mit Ungarn, Tschechien und der Slowakei könnte die neue rechtskonservative Regierung in Warschau bei den EU-Sondertreffen der nächsten Tage zur Speerspitze einer neuen nationalen Abgrenzung werden.

Tschechiens Vizepremier Andrej Babiš warnte am Montag davor, dass der Schengenraum auseinanderbrechen könnte, wenn die Schengen-Außengrenze nicht schnell geschlossen werde. „Das ist ein Krieg, und wir sind im Krieg.“ Ungarns Regierungschef Viktor Orbán fühlt sich durch die Ereignisse in Paris bestätigt. Der Terroranschlag zeige, dass die Flüchtlingswelle eine Sicherheitsgefahr sei. Terroristen hätten die „Völkerwanderung“ genutzt, sich unter die Flüchtlinge zu mischen. (ag./wb)

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2015)

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