Finanzminister Schelling kann aufatmen: Die EU-Kommission dürfte noch diese Woche entscheiden, dass die Kosten für Flüchtlinge nicht unter die Stabilitätskriterien fallen.
Wien. Tu felix Germania! So leicht ist das, wenn man einen Budgetüberschuss hat. Am Freitag vergangener Woche schichtete der Budgetausschuss des deutschen Bundestags nach 16-stündigen Beratungen 6,1Milliarden Euro an Rücklagen aus dem heurigen Jahr ins Budget 2016 um. Sie sollen helfen, die Kosten für die Flüchtlinge zu finanzieren, und sicherstellen, dass auch am Ende des kommenden Jahres wieder eine schwarze Null im Staatshaushalt steht.
In Österreich hat der Finanzminister nichts zum Umschichten–im Gegenteil. Er muss vielmehr zittern, dass ihm ein EU-Defizitverfahren droht, weil Österreich aufgrund der höheren Ausgaben für die Flüchtlinge die Stabilitäsvorgaben für 2016 verfehlen dürfte. Aus dem strukturellen Nulldefizit, das Experten bisher auch schon ohne die Zusatzkosten angezweifelt haben, dürfte dann nichts werden.
Doch offenbar kann Hans Jörg Schelling aufatmen: Aus Kreisen der EU-Kommission wird der „Presse“ erklärt, dass die Schuldenregeln wegen der Flüchtlingskrise gelockert werden. Die Zusatzkosten sollen bei der Defizitberechnung für 2016 nicht einbezogen werden und damit auch nicht für die Stabilitätskriterien gelten. Ein entsprechender Vorschlag werde noch diese Woche präsentiert werden, heißt es.
„Riesenproblem Flüchtlinge“
Schelling hatte zuletzt von einem „Riesenproblem mit den Kosten der Flüchtlinge“ gesprochen. Der ÖVP-Politiker hatte bei einem Treffen der EU-Finanzminister in Luxemburg betont, dass es nicht gerechtfertigt sei, „wenn jene Staaten, die besonders human sind und Geld für die Versorgung der Asylwerber in die Hand nehmen, deshalb von Brüssel bestraft werden“.
Das Finanzressort erwartet aufgrund der Flüchtlinge für 2015 Mehrkosten in der Größenordnung von „etwas über 200 Millionen Euro“. Für 2016 seien zusätzliche Mittel für Arbeitsmarkt, Integration und Grundversorgung im Umfang von etwa 350 Millionen Euro eingestellt, plus eine Reserve für die Bundesländer. Experten halten diese Zahlen für zu gering. In Deutschland rechnet man 2016 mit Kosten für die Flüchtlinge in Höhe von neun bis 15 Milliarden Euro. Das etwa zehnmal größere Nachbarland hat heuer bereits etwa 800.000 Flüchtlinge aufgenommen, im kommenden Jahr könnte eine Million nach Deutschland kommen. Insgesamt prognostizieren EU-Experten drei Millionen zusätzliche Flüchtlinge in Europa bis 2016.
Hearing im Budgetauschuss
Wenn die EU die Schuldenregeln lockert, wäre das eine Niederlage für Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble. Er hatte das Ansinnen abgelehnt und beim Treffen in Luxemburg gemeint: „Sie (die Flüchtlingskrise, Anm.) ist nicht als Instrument zu nutzen, um andere Dinge zu machen.“
Dass Österreich „andere Dinge“ im Budget 2016 macht, glaubten gestern einige Experten, die bei einem Hearing des Budgetausschusses des Nationalrats auftraten und an den Zahlen des Voranschlags für 2016 Zweifel äußerten.
Stefan Ederer vom Wirtschaftsforschungsinstitut meinte, man habe es bei der Steuerreform verabsäumt, den Konsum und so die Nachfrage stärker anzuregen sowie Frauen und niedrige Einkommen stärker zu entlasten. Gottfried Haber von der Donau-Uni Krems meinte dagegen, dass von der Steuerreform sehr wohl ein konjunktureller Impuls ausgehe. Die Gegenfinanzierung sei aber „mit Unsicherheiten“ behaftet. Das glaubte auch Friedrich Schneider von der Universität Linz, der vor allem die veranschlagten Einnahmen durch Einführung der Registrierkassa bezweifelte. Die genannten 900 Mio. Euro seien „sehr hoch“, er rechne mit maximal 400 Mio. Euro.
Markus Marterbauer (Arbeiterkammer) zeigte sich optimistisch: Die Konjunktur komme in Gang und eröffne größere Budgetspielräume, die Entwicklung der Pensionsausgaben sehe er positiv.
AUF EINEN BLICK
Die Kosten für die Flüchtlinge fallen nicht unter die Budgetkriterien. Dies erklärte man der „Presse“ aus Kreisen der EU-Kommission in Brüssel. Ein entsprechender Vorschlag soll noch diese Woche veröffentlicht werden. Finanzminister Schelling hatte eine Ausnahme gefordert, weil Österreich durch die finanzielle Mehrbelastung aufgrund der Flüchtlingskrise die EU-Kriterien für 2016 nicht erreichen würde.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2015)