Die Schulreform steht: Gesamtschule nur im Kleinen

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In Zukunft wird es einen Bildungskompass und High-Speed-Internet an den Schulen geben. Die Bundesländer sollen verordnen können, welche Schulen an einer Modellregion zur Gesamtschtschule teilnehmen.

"Ich freue mich, dass das Bildungssystem in eine neue Zeit geht", sagt Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) am Dienstag bei der Präsentation der Bildungsreform. "Es ist eine Zeit der Eigenverantwortung, Entbürokratisierung, eine Zeit, wo wir sagen können, die Kinder haben sich durchgesetzt." Es sei ein "Durchbruch gelungen". In punkto Gesamtschule muss die Reform für die Ministerin und ihre Partei aber eine Enttäuschung sein, denn großflächige Schulversuche, wie man sie sich gewünscht hat - etwa, dass ganz Wien eine Modellregion wird - wird es nicht geben. Tatsächlich werden bei jeder Modellregion zur Gesamtschule nicht mehr als 15 Prozent aller Schüler in einem Bundesland teilnehmen. Allerdings soll das Bundesland offenbar verordnen können, welche Schulen hier teilnehmen. Auf die Frage nach der Zustimmung von Eltern und Lehrern äußert sich die Ministerin nur insofern, als dass man diese natürlich gern hätte. "Man zieht die Schulpartner beratend bei", sagt Heinisch-Hosek.

"Es ist eine sehr erfreuliche Einigung", sagt Bundeskanzler Werner Faymann schon im Vorfeld. Die Bildung sei ein Thema, das die Regierung "lange auseinander dividiert hat". Nun habe man aber einen gemeinsamen Weg in dieser "entscheidenden Schlüsselfrage festgelegt". Mitte 2016 soll es einen Gesetzesbeschluss geben, sagte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner. Die "Versuchskaninchen-Mentalität" werde durch die Reform nicht erhöht. 

Der "Presse" liegt das Papier mit den "Schwerpunkten der Bildungsreform" vor. Diese reichen von einer Art "Mutter-Kind-Pass" für die Bildung über mehr Autonomie bis zu einem Kompromiss in der Schulverwaltung. Hier die Eckpunkte:


1. Bildungskompass

Für alle Kinder ab 3,5 Jahren wird ein "Bildungskompass" eingeführt - mit verpflichtenden Sprach- und Entwicklungsscreenings. Schon bevor die Kinder in den Kindergarten eintreten, wird darauf geschaut, wie gut sie (Deutsch) sprechen können und wie ihr allgemeiner Entwicklungsstand ist. So sollen die Eltern erfahren, wo ihr Kind individuelle Förderung braucht und - so die Absicht - auch, wo seine Talente sind. Diese Informationen sowie die Entwicklungsschritte der Kinder sollen im Bildungskompass vermerkt werden. Der Bildungskompass gilt vom ersten Kindergarten- bis zum letzten Schultag.

Der Umstieg vom Kindergarten in die Volksschule soll damit harmonischer werden: Durch den Kompass sollen in der Volksschule die Fertigkeiten der Kinder gleich zu Beginn bekannt sein, damit punktuell gefördert werden kann. Die Idee, so sagt ÖVP-Staatssekretär Harald Mahrer bei der Pressekonferenz, hat der Genetiker Markus Hengstschläger eingebracht.


2. Kindergarten

Nun wird doch das lang diskutierte "zweite verpflichtende Kindergartenjahr für alle Kinder" eingeführt, heißt es offiziell. Aber eben doch nicht für alle: Wenn kein Förderbedarf besteht, gilt die Pflicht nicht. Wie viel das kostet, hängt noch von Gesprächen mit Ländern ab, sagt Mahrer. Für ihn ist aber der Kindergarten "das wichtigste Investment".

Die Förderung von Deutsch soll jedenfalls im Kindergarten intensiviert werden. Die Ausbildung der Kindergartenpädagoginnen an der BAKIP wird erneuert - mit einem Fokus auf Sprachförderung sowie Talente- und Begabtenförderung. Das Anforderungsprofil für die Aufnahmeverfahren wird modernisiert. Die Ausbildung soll dadurch auch für Männer attraktiver werden. Die Kindergarten-Helferinnen erhalten eine einheitliche Mindest-Ausbildung: Ihnen werden die wichtigsten pädagogischen Grundlagen beigebracht. Kindergarten-Leiterinnen erhalten eine pädagogische Zusatzausbildung.


3. Gesamtschule

Diese kann künftig in Modellregionen erprobt werden, es gibt aber ein großes Aber: Die Gesamtzahl der Standorte  darf in keinem Bundesland 15 Prozent aller Standorte sowie 15 Prozent aller Schüler der jeweiligen Schulart überschreiten. Das bedeutet: Es kann kein ganzes Bundesland zur Modellregion werden. Und Privatschulen sind von den Modellregionen nicht betroffen – außer, sie wollen freiwillig mitmachen. Für den Bund entstehen keine Mehrkosten. Der Bund wird die Modellregionen nicht zusätzlich finanzieren. Essenziell sei die wissenschaftliche Begleitung dieser Modelle – damit objektive Ergebnisse statt ideologischer Etiketten nach zehn Jahren zur Beurteilung stehen.

Ministerin Heinisch-Hosek sieht das positiv: "Wir werden es schaffen, die gemeinsame Schule der Sechs- bis 14-Jährigen Wirklichkeit werden zu lassen." Die ÖVP sieht das wohl anders: "Es war uns wichtig, das wir am Gymnasium festhalten", sagt Staatssekretär Mahrer bei der gemeinsamen Präsentation.

Das Land soll diese Modellregion offenbar verordnen können. Wenn die Eltern eine solche Schule nicht wollen, müssen sie ausweichen, sagt die Ministerin. Natürlich werde man aber versuchen, Lehrer und Eltern an Bord zu holen.

AHS-Gewerkschaftschef Eckehard Quin fühlt sich jedenfalls an Nordkorea erinnert: "Da das niemals die Zustimmung der betroffenen Eltern, Schüler und Lehrer gefunden hätte, führt die Regierung Schuldiktatur à la Nordkorea ein." Und: „Die betroffenen Schulpartner in Vorarlberg, Tirol oder Wien werden sich ihre derzeitigen Mitbestimmungsrechte und ihre Wahlmöglichkeit sicher nicht nehmen lassen. Da sie bisher nicht willig waren, sich mit Eintopfschulen abspeisen zu lassen, möchte die Politik nun Gewalt anwenden“.


4. Autonomie

Das Autonomiepaket beinhaltet mehr pädagogische, finanzielle und personelle Spielräume für die Schulen, die "Presse" hat darüber bereits im Vorfeld berichtet. Die Lehrer können demnach ihren Unterricht freier gestalten und Lehrplanabweichungen von fünf Prozent in der Volksschule bis zu 33 Prozent im Gymnasium werden möglich. Jede Schule (in Abstimmung mit Schulpartnern) kann in Zukunft selbst entscheiden, wann sie die Schule aufsperrt und wann dieser endet. Jede Schule muss künftig einmal jährlich einen Qualitätsbericht erstellen.


5. Lehrer und Direktoren

Die Direktoren sollen Schulmanager werden. Sie bekommen mehr Entscheidungsfreiheit und mehr Eigenverantwortung. Sie können etwa bei der Neu-Einstellung von Lehrern aussuchen, wen sie gerne an ihrer Schule hätten – dazu gibt es IT-Tools wie "Get your Teacher" (Lehrerdatenbank). Gleichzeitig haben sie ein Vetorecht, wenn ihnen ein Lehrer von der Behörde zugeteilt wird und dieser ihrer Meinung nach nicht an die Schule passt. Jeder Direktor kann entscheiden, ob an Stelle von Lehrern Psychologen, Sozialarbeiter, IT-Experten oder Talente-Spezialisten engagiert werden. Je nach Schwerpunkt und Bedarf vor Ort. Jeder Direktor kann sein Globalbudget selbst verwalten.


6. Ausstattung

Angekündigt sind High-Speed-Internet und W-Lan für jede Schule bis 2020 als Grundvoraussetzung für digitale Bildung. Gefordert wird im Gegenzug eine offene Einstellung zum digitalen Lernen "um die Kreativität und den Innovationsgeist in der Schule zu fördern" – sowohl bei den Kindern als auch bei den Lehrern. Eine "Bildungsstiftung" (für digitale und innovative Bildungsprojekte) soll mehr Innovationen garantieren. Schulen, Kindergärten und Forschungseinrichtungen können Projekte einreichen.


7. Die Schulverwaltung

Im Streit zwischen Bund und Ländern gibt es einen Kompromiss: Es werden in allen Bundesländern Bildungsdirektionen eingerichtet. Die Direktoren an deren Spitze werden zwar von den Landeshauptleuten bestellt, unterstehen aber dem Bund. Die Bildungsdirektion ist dem bisherigen Landesschulrat sehr ähnlich, hier zu den Details.

Die Abrechnung aller Lehrer (Bund und Land) erfolgt erstmals zentral über das Bundesrechenzentrum. Alle Lehrer werden ins Unterrichtsinformationssystem integriert. Mit der Einführung der Bildungsdirektionen werden die amtsführenden Präsidenten, die Vizepräsidenten und Kollegien abgeschafft. Das soll Einsparungen von ca. sechs Millionen Euro bringen.

In der Verwaltungsfrage habe man einen "sinnvollen Kompromiss" erzielt, hieß es von Bundeskanzler Werner Faymann heute. Die Reform bringe "Verbesserungen für die Schüler und eine Stärkung der Standorte". "Es ist eine politische Einigung, die sich sehen lassen kann."

(rovi)

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