Österreich-Connection eines Attentäters

BELGIUM FRANCE PARIS ATTACKS
BELGIUM FRANCE PARIS ATTACKS(c) APA/EPA/BELGIAN FEDERAL POLICE/H
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Der flüchtige Salah Abdeslam geriet am 9. September in Oberösterreich in eine Verkehrskontrolle. Er war in Richtung Wien unterwegs. Steckt hinter der Reise ein Netzwerk, das von Bosnien über Wien nach Belgien reicht?

Wien. Eigentlich suchten die Mitarbeiter der oberösterreichischen Verkehrspolizei nach Schleppern. Zwei Wochen nach dem Flüchtlingsdrama auf der Ostautobahn, bei dem 71 Menschen in einem Lkw erstickt waren, war die Kontrolldichte hoch. Gerade auf der A8, der Innkreis-Autobahn, gingen der Exekutive immer wieder Verdächtige ins Netz. Manchmal war es auch ruhig. So wie an jenem frühen Abend des 9. September 2015. Das glaubten die Beamten jedenfalls. Seit gestern wissen sie: In einem Auto, das sie damals anhielten, kontrollierten, und weiterfahren ließen, saß einer der Attentäter von Paris.

Im Gemeindegebiet von Aistersheim fiel ihnen um 21 Uhr ein Pkw mit belgischem Kennzeichen auf. Im Fahrzeug befanden sich drei Personen. Eine davon war Salah Abdeslam. Das ist jener 26-Jährige, dessen schwarzer gemieteter VW Polo vor der Pariser Konzerthalle Bataclan gesichtet worden ist. Ein Terrorkommando ermordete dort 89 Menschen. Über die genaue Rolle von Salah Abdeslam ist bisher wenig bekannt. Seit Freitag ist er auf der Flucht. Sein Bruder Ibrahim sprengte sich in Paris mit einer Sprengstoffweste in die Luft.

Vor zwei Monaten gaben Abdeslam und seine zwei Beifahrer bei der Kontrolle in Aistersheim an, Urlaub in Österreich machen zu wollen. Laut einem Bericht der „Kronen Zeitung“ (online) sollen die Beifahrer der IS-Europa-Statthalter „Al-Jafar“ und dessen Vertreter „Saddiq“ gewesen sein. Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck dementierte den Bericht gegenüber der „Presse“: „Darauf gibt es keine Hinweise“.

Top-Terrorist des IS in Wien?

Da nichts gegen die drei Männer vorlag, ließen die Polizisten sie in Richtung Wien weiterfahren. Welchem Zweck die Reise gedient hat, versucht nun der österreichische Staatsschutz zu klären. Allerdings könnte sich laut „Krone“ ein IS-Terrorist noch immer in Österreich aufhalten. Zehn Tage vor den Anschlägen in Paris gab das Bundeskriminalamt an den belgischen Geheimdienst die Nachricht weiter, Ali Musa Al Ahawakh alia Abu Luqman (42) könnte in Wien sein. Der „Emir von Rakkah“ galt als Chef der IS-Geheimpolizei, soll hunderte Menschen getötet und mit Öl-Schmuggel ein Vermögen von 30 Millionen Euro angesammelt haben. Dazu meint Grundböck: Es hatte zwar einen schriftlichen Hinweis (an Belgien, Anm.) gegeben. Allerdings hätte das Gerücht, dass Luqman in Wien sei, nicht verifiziert werden können.
Warum Österreich? Speziell Wien gilt als Brückenkopf für Kontakte zum sogenannten Islamischen Staat (IS). Eine wichtige Rolle hierfür spielte der Bosnier Husein Bilal Bosnić, der seit Sommer 2014 in seiner Heimat in Haft sitzt. Ihm wird die Rekrutierung zahlreicher Kämpfer in Europa vorgeworfen – er soll in Österreich und Belgien ein Netzwerk errichtet haben. In Wien Leopoldstadt war es etwa die berüchtigte Altun-Alem-Moschee. In Belgien predigte er knappe 70 Kilometer von Abdeslams Wohnort in Brüssel entfernt. Zumindest ein Komplize von ihm, Omar Mostefai, hat sich vor dem Attentat tatsächlich in Syrien zum Kämpfer ausbilden lassen.

„Ideologe des globalen Jihadismus“

Ein Kontaktmann des Bosniers Husein Bilal Bosnić in Österreich ist der ebenfalls bosnischstämmige Mirsad O. (34), alias Ebu Tejma. Der in Serbien geborene Prediger sitzt seit einer Großrazzia, die Ende November 2014 zeitgleich in Wien, Graz und Linz von hunderten Beamten durchgeführt wurde (damals gab es 13 Festnahmen), in Untersuchungshaft. Gegen ihn ermittelte die Staatsanwaltschaft Graz. Ebendort sitzt der in Saudiarabien ausgebildete O. seither in U-Haft. Mittlerweile liegt eine umfangreiche Anklageschrift vor.
Ihm wird nicht nur die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (IS) vorgeworfen, sondern auch Anstiftung zum Mord. Er soll durch seine Predigten, die er auch in Wien, u. a. ebenfalls in der Altun-Alem-Moschee, später im Austria Bangladesh Cultural Center Baitul Mamur Masjid in der Brigittenau abgehalten hat, mindestens einen Jihadisten so weit gebracht haben, dass dieser in Syrien im Rahmen einer IS-Aktion mindestens einen Mord begangen hat.
Sein Prozess – dieser wird auch gegen einen zweiten Angeklagten geführt – soll frühestens im Jänner beginnen. Einen Vorgeschmack darauf, wie die Justiz O. einschätzt, bietet ein U-Haft-Beschluss des Landesgerichts Graz: „Mirsad O. ist aufgrund der bisherigen Ermittlungen in Österreich Hauptideologe für den globalen jihadistischen Islamismus.“ O. bestreitet die Vorwürfe, angesichts des Terrors in Frankreich lässt er über seinen Anwalt der „Presse“ ausrichten, dass er die Anschläge verurteile bzw. ablehne.

Während O. noch auf seine Verhandlung wartet, hat es in Österreich zuletzt mehrere Terror-Prozesse gegeben. Vor allem junge Tschetschenienflüchtlinge aus Wien oder Niederösterreich waren betroffen. Die meisten hatten versucht, sich dem IS anzuschließen, waren aber bei der Ausreise aus Österreich festgenommen worden oder hatten es nicht geschafft, über die Türkei in Syrien einzureisen. Rechtlich gesehen reicht es, sich auf den Weg in Richtung IS-Territorium zu machen, um den Tatbestand der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (Strafdrohung: ein bis zehn Jahre Haft) zu erfüllen. Wenn der IS wisse, dass Kämpfer versuchen, sich ihm anzuschließen, bedeute dies eine „psychische Beihilfe“ für die Terrormiliz – so hat ein Wiener Strafgericht geurteilt.

Die österreichischen Terror-Verfahren in Zahlen: Von Jahresbeginn bis 1. November waren 150 Fälle bei den Staatsanwaltschaften anhängig. Bei 43 reichte es für eine Anklage nach § 278 b StGB, 23 Verurteilungen gab es heuer. Das ist eine extreme Steigerung, im Vorjahr hatte es nur eine Verurteilung gegeben, 2013 keine, im Jahr davor auch nur eine einzige. Wegen Terror-Tatbeständen saßen mit Stichtag 1. November österreichweit 31 Personen hinter Gittern.

AUF EINEN BLICK

Der als Komplize der Paris-Attentäter verdächtige Salah Abdeslam (26) war vor zwei Monaten in Österreich. Am 9. September 2015 gerieten er und zwei Mitreisende in Oberösterreich in eine Verkehrskontrolle. Die Gruppe war mit einem Pkw in Fahrtrichtung Wien unterwegs. Die Männer gaben an, Urlaub machen zu wollen. Da kein Haftbefehl vorlag, durften sie ihre Reise fortsetzen. Der Staatsschutz versucht nun, den Zweck der Fahrt zu rekonstruieren. Eine Verbindung könnte das Wirken des inhaftierten und mutmaßlichen IS-Rekrutierers Bilal Bosnić sein. [ APA]

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2015)

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