Die Kinder der verratenen Revolution

(c) EPA (ABEDIN TAHERKENAREH)
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Drei enttäuschte Generationen im Iran: Eine junge Wahlkämpferin für Mir Hossein Moussavi, die auf einen Wandel hoffte. Einer der Studenten, die 1998 gegen das Regime auf die Straße gingen und vom damaligen Präsidenten Mohammed Khatami im Stich gelassen wurden. Und ein ehemaliger Besetzer der US-Botschaft, der an kleine Reformschritte glaubt.

Als ob sie ein Hammer mit voller Wucht getroffen hätte, so fühlt sich Maryam Noorbaksh. Es ist der Tag nach den Präsidentschaftswahlen im Iran, und Präsident Mahmoud Ahmadinejad ist zum eindeutigen Sieger erklärt worden. „Das ist kein Wahlbetrug. Das ist ein Staatsstreich“, sagt die 29-jährige Layouterin verbittert. Sie sitzt mit ihren Mitstreitern in der Wahlkampfzentrale des Reformerkandidaten Mir Hossein Moussavi im zwölften Teheraner Wahlbezirk. Aufgekratzt sind sie, die jungen Männer und Frauen mit den verquollenen Augen. Die meisten tragen noch die grüne Armbinde oder ein grünes Kopftuch, als Zeichen der Verbundenheit zu ihrem Kandidaten.

Sie warten auf ein Signal von Mir Hossein, ob sie sich versammeln sollen auf den großen Plätzen der Stadt, sich für ihn in die Schlacht werfen sollen, Tränengas und Prügel einstecken sollen. Noorbaksh sitzt schweigend in der Ecke. Zwei Wochen hat sie sich für den Wahlkampf freigenommen, war bereit, auf dem schmutzigen Fußboden ihrer Zentrale zu schlafen, kaum zu essen und sich selbst mit ihren Eltern zu überwerfen für einen Kandidaten, der ein bisschen politische Kultur in das Land bringen sollte. Teheran war im Ausnahmezustand. Wie ein Happening begriffen die Iraner ihre Wahl, in der sie auf offener Straße ihren Präsidenten verhöhnen und Moussavi als Popstar verehren konnten. Die grüne Welle hatte das Land erfasst. Umbruch lag in der Luft, egal, wer die Wahlen gewinnen sollte, kein Stein werde auf dem anderen bleiben, glaubten viele Iraner.


Wie ein ferner Traum. Bis vor einigen Tagen waren die eingeschlagenen Fenster, die Tränengasattacken und die Schikanen für viele Moussavi-Anhänger ein sicheres Indiz dafür, dass sie gewinnen werden. „Warum sollte sich das Regime sonst solche Mühe geben, uns an der Arbeit zu hindern?“, meint Noorbaksh. Samstagnachmittag sieht die Welt anders aus. Jetzt bringt sie keinen Bissen hinunter, überhört den Galgenhumor ihrer Kollegen. „Die vergangenen Tage hatten etwas von einer Revolution. Sogar kleine Kinder haben geschrien: Moussavi, wir unterstützen dich“, erzählt sie, als ob es sich um einen fernen Traum handelt.

Viele Iraner erinnerten die vergangenen Tage an jene während der islamischen Revolution. „Glauben Sie etwa, dass wir einen Ahmadinejad mit einer Wahl loswerden? Ist er denn kraft der Wahlurne vor vier Jahren an die Macht gekommen?“, fragt Abbas Abdi und lächelt ironisch. Der Publizist zählt zu den führenden Reformpolitikern des Landes. Die grüne Welle war für ihn nur eine Episode in der iranischen Geschichte. „Sie erinnert nur äußerlich an eine Revolution. Viele Jugendlichen gehen nur aus reinem Zeitvertreib auf die Straße“, meint Abbas Abdi, „wir hatten damals ein höheres Ziel.“


Vom Revoluzzer zum Zweifler. Euphorisch wirkt der Mittfünfziger nicht, wenn er Moussavis grüne Jugend am Fenster seines Büros vorbeimarschieren sieht, eher genervt wendet er sich von dem Lärm ab. Von Revolution versteht er etwas. Und das ist keine.

Vor 30 Jahren bestieg der damalige Ingenieursstudent als einer der ersten die Mauern der US-Botschaft. 444 Tage waren 52 Amerikaner in seiner Gewalt. Er bereut die Geiselnahme nicht. „Ein junger Mensch, der in einer geschlossenen Gesellschaft lebt, bekommt eine geschlossene Gesinnung und beginnt die Welt einfach zu sehen“, reflektiert er heute.

Martialisch klingt das nicht unbedingt. Aus dem Revoluzzer mit Vollbart wurde ein Zweifler, der den Gottesstaat infrage stellte. Seine Utopie nach einer gerechteren Gesellschaft mit islamischem Antlitz wich dem Wunsch nach mehr Freiheit und einem Rechtsstaat, in dem Politik und Religion voneinander getrennt sind – und in dem Wahlen fair ablaufen.


Wandel ohne Gewalt. Es war unter anderem Abdi, der dem Reformerkandidaten Mohammad Khatami 1997 den Weg ins Präsidentenamt ebnete. Seine Kommentare in der liberalen Tageszeitung „Salam“ überzeugten Irans Intelligenzija von dem geistlichen Präsidentschaftskandidaten. Wieder einmal engagierte sich Abdi für einen Wandel, dieses Mal ohne Gewalt.

Gelungen ist er nicht, der Reformerpräsident hielt nicht, was er versprach, nicht einmal seine engen Mitstreiter wie Abdi konnte er vor der Willkür des Regime bewahren. Abdi selbst wurde inhaftiert, weil sein Meinungsforschungsinstitut eine Umfrage veröffentlicht hatte, in der sich ein Großteil der Iraner für einen Dialog zu Amerika aussprach. Informationen, die für den Feind Amerika bestimmt waren, so der Vorwurf des Richters.

Er engagiert sich noch immer, an den großen Sprung nach vorne aber glaubt er nicht mehr. Auch Jalal Mahmoudlou nicht. Mit seinen 29 Jahren ist der Wirtschaftsabsolvent ein Polit-Veteran. Als 17-Jähriger klebte er Plakate für Khatami und prügelte sich für sein Idol. Er organisierte Ausflüge in die Berge, die frische Luft sollte die Kondition der Mitstreiter verbessern, wenn sie vor ihren Angreifern flüchten mussten. Revolution für Anfänger. Heute ist Mohammdlou Teherans Jugendbeauftragter für die Partizipationspartei, die bei diesen Wahlen Moussavi unterstützt hat. „Noch steht nicht fest, dass wir gescheitert sind“, sagt er optimistisch. „Die Tatsache, dass sie über die Wahlen einen Staatsstreich probieren, spricht für sich.“

Wie ein Rebell wirkt der junge Mann mit Vollbart und Polo-Shirt nicht, eher wie ein bedächtiger Politiker, der von Wählermobilisation spricht, nicht von Umsturz. Häufig fällt dabei der Name Khatami. Er ist für viele das Synonym für den zweiten Anlauf, eine andere Revolution mit demokratischen Mitteln.


Wütend auf Khatami. Beinahe wäre ihnen dieser Anlauf geglückt. Dann kam der 9. Juli 1999. Am Vortag hatten Studenten gegen ein rigides Pressegesetz und das Verbot der Zeitung „Salam“ protestiert. In derselben Nacht drangen Schläger in das Studentenheim der Teheraner Universität ein. Mindestens ein Student kam dabei ums Leben. In den darauf folgenden Tagen kam es in mehreren Städten zu den größten Demonstrationen und Straßenschlachten, die der Iran seit der Islamischen Revolution 1979 erlebt hatte. Auch Mohammdlou war auf der Straße, wurde verprügelt und hat mitangesehen, wie viele seiner Freunde verhaftet wurden.

„Diese Aktion hat uns sehr geschadet“, sagt er verbittert. Es war ein willkommener Anlass, Khatamis Hausmacht, die Studenten, als Umstürzler darzustellen. Dabei hat Khatami tagelang zu den Vorfällen geschwiegen, bis er die Studenten aufforderte, die Proteste einzustellen. „Wir waren wütend auf Khatami“, erzählt Mohammdlou. Mit Khatami hat er längst seinen Frieden geschlossen. Der Expräsident war nicht der Superman, für den ihn der 17-Jährige gehalten hatte.

Die Zeit der Helden ist vorbei. Die Revoluzzer von heute sind nüchterne Partei-Apparatschiks wie Mohammdlou oder Noorbaksh. „Keiner serviert uns die Demokratie auf dem Silbertablett. Wir müssen dafür arbeiten“, resümiert Mohammdlou. „Irgendwann werden wir siegen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2009)

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