Liudmila Konovalova: „Ich will meinen Auftritt genießen“

Liudmila Konovalova.
Liudmila Konovalova.(c) Christine Ebenthal
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Harte Vorbereitungsarbeit zahlt sich aus, meint Liudmila Konovalova. Demnächst ist sie als „Fille mal gardée“ in der Staatsoper zu erleben.

Einmal nicht Prinzessin sein. Auf der Bühne das wirkliche Leben tanzen. Gegen die Mutter rebellieren, die den reichen, aber tollpatschigen Bräutigam schon an der Hand hält, mit dem Auserwählten im Heu liegen, fröhlich und frei sein, den ganzen lieben Tag lang. Liudmila Konovalova, Erste Solotänzerin im Wiener Staatsballett, darf all das einen Abend lang. Sie ist das schlecht behütete Mädchen, Lise, „la fille mal gardée“, das der Mama samt der arrangierten Hochzeit ein Schnippchen schlägt, den begriffsstutzigen Alain im Regen stehen lässt und mit dem Knecht Colas durchbrennt. Zwar wird das verspielte Pärchen wieder eingefangen, doch ohne es zu ahnen oder gar zu wollen, kuppelt die Mutter. Sie sperrt Lise in ihr Zimmer, wo diese den Geliebten bereits versteckt hat. Ob der Fauxpas rechtzeitig repariert werden kann, ist fraglich. Der Dichter Denis Diderot begann jedenfalls zu stottern, zu peinlich ist die Geschichte: „Das Mädchen und sein zärtlicher Freund waren gerade dabei, waren gerade dabei . . . Nichts zu sagen ist genug gesagt . . .“

Strohballett. Diderots Erzählung ist eine Bildbeschreibung: Auf dem Hof schimpft eine erboste Mutter ihre weinende Tochter aus, während sich der Liebhaber davonstiehlt. „Die Maßregelung“ hat Pierre-Antoine Baudouin 1789 gemalt, und schon wenige Monate später wurde die Szene vom Tänzer und Choreografen Jean Dauberval in ein ganzes Ballett eingebaut und im Grand Théâtre von Bordeaux uraufgeführt. Das war am 1. Juli 1789, doch weil Lise und Colas, die strenge Mama, en Travestie von einem Mann getanzt, und der einfältige Alain nicht gestorben sind, lebt dieses lebhafte „Strohballett“ (ursprünglicher Titel) noch heute. Und Fanny Elßler tanzt immer mit. Knappe 60 Jahre nach der Uraufführung hat die weltweit bekannte Wiener Tänzerin die ungehorsame Lise in Sankt Petersburg gestaltet und einen Pas de deux kreiert, den Frederick Ashton, Choreograf der in Wien gezeigten, köstlich aufgefrischten Fassung, übernommen hat. Der „Fanny-Elßler-Pas-de-deux“ und der schelmisch getanzte „Pas de ruban“ sind nicht die einzigen kurzweiligen Höhepunkte dieses Ballettklassikers, in dem zum ersten Mal realistische Menschen und keine Märchenfiguren vorkommen.

In dem komplizierten Duo mit dem rosa Seidenband spielen Lise und Colas mit ihren Körpern „Abnehmen“. Auf der gesamten Erdkugel kennt man dieses Spiel, im Schulhof von Mädchen gespielt oder auch als Ritual zelebriert: Mit den Händen wird eine verknüpfte Schnur zu einem Muster gelegt, beim Abnehmen bildet die Mitspielerin ein neues Muster. In England kennt man das „Abnehmen“ als „Cat’s Cradle“, auf den Osterinseln werden mittels „kai, kai“ Geschichten in der Sprache der Ureinwohner, Rapanui, erzählt. Auf der Ballettbühne nutzen Lise und Colas das glänzende Band zum Flirten, zur zärtlichen Bondage. Liudmila Konovalova blickt gespielt ernst: „Das muss ganz leicht und locker aussehen, aber es ist sehr schwer. Wir wickeln uns ein, aber wir dürfen uns auf keinen Fall verwickeln.“

Gewitter. Die leichte Komödie ist auch Kindern verständlich, ist doch allerhand los auf dem Bauernhof. Ein stolzer Hahn tritt mit seiner Hühnerschar auf, die Ernte wird eingefahren und die beiden Ausreißer werden von einem Gewitter überrascht. Ein Ballett für die ganze Familie, das die meisten großen Compagnien im Repertoire haben. Die Tänzerin der Titelrolle hat sich auch über die Geschichte informiert. „Das mache ich immer, ich muss wissen, wer ich bin, und auch den Hintergrund kennen. Ashton hat seine Version 1960 herausgebracht, und ich muss mich erst an seinen Stil gewöhnen. Er liebt weit ausholende Bewegungen, alles ist viel intensiver, da kann man nicht nur so nebenbei den Kopf wenden, das muss eine exakte, konzentrierte Bewegung sein. Das gibt Energie und wir können damit sehr gut echte Emotionen ausdrücken.“ Das bekommt vor allem Masayu Kimoto als Alain zu spüren, den sie mit Händen, Füßen und angeekelter Miene zurückweist. Konovalova lacht beschwichtigend: „Wir kommen gut miteinander zurecht, ich fühle nicht für oder gegen Robert oder Masayu, sondern meine Empfindungen gelten Colas und Alain.“ Sie trainiert hart, auch außerhalb der Trainings- und Probenzeiten. Will sie die Beste sein? „Nein. Aber ich will meine Grenzen kennen und auch den Auftritt genießen, ich will nicht mit Stress auf die Bühne. Nach der Schwerarbeit will ich Freude haben. Das gelingt nur, wenn ich mich nicht mehr um Haltung und Schritte sorgen muss, wenn ich alle Schwächen beseitigt habe. Die Beste, die gibt es doch gar nicht, Tanzen ist kein Sport. Jede von uns hat andere Vorteile, deshalb wirkt auch jede Rolle immer anders. Und auch das Publikum hat unterschiedliche Vorlieben.“ Die Konovalova wird geliebt, weil sie nimmermüde rasante Pirouetten dreht, oft mit der „Double Tour“, der Doppeldrehung. Wie aus Beton gegossen steht sie kerzengerade auf der Spitze. „Das ist auch eine Veranlagung, ich habe diese gerade Achse, trainieren und üben muss ich trotzdem, auch wenn der Körper stimmt, nur so hinstellen und lostanzen funktioniert nicht.“ Trainiert hat sie auch ihr Durchhaltevermögen, ihre eiserne Disziplin: „Oft denke ich, ich kann nicht mehr, es ist aus. Doch dann weiß ich, dass ich es der Choreografie und dem Publikum schuldig bin, nicht aufzugeben. Da mache ich einfach weiter, bis die Variation zu Ende ist.“ Strahlend knickst sie dann im tosenden Applaus, ihre Bühnenpräsenz, die leuchtenden Augen, die im Lauf der fünf Wiener Jahre immer weicher gewordenen Bewegungen machen sie zum Star. „Anmut, Schönheit und Eleganz“ bescheinigen ihr die Kritiken, „Eine wahre Primaballerina!“ Einschränkung: „Ich liebe meinen Beruf, aber ich liebe auch das Leben draußen, ich brauche es zur Inspiration. Ich will nicht in falsche, tote Emotionen kippen.“

List und Liebe. „Natürlich mag ich den Applaus, aber der ist nicht so wichtig. Jetzt habe ich ihn im „Don Quixote“ als Kitri gehabt, das tut gut. Doch ich tanze auch gern Stücke, die nicht so bejubelt werden. Immer nur die alten Klassiker, das wäre mir zu langweilig.“ Ashtons „schlecht behütetes Mädchen“ (bekannt auch unter dem ebenso holprigen deutschen Titel „List und Liebe“) ist eine solche Herausforderung. Zur Einstudierung ist Malin Thoors nach Wien gekommen. Sie hat die Lise und auch andere Ashton-Ballette als Solistin des Königlich Schwedischen Balletts getanzt und als Ballettmeisterin in Paris gearbeitet. Aufmerksam sieht sie den Tänzerinnen zu, die das Ballett erst lernen, die andere Hälfte hat es bereits in Knochen und Muskeln, ist doch das Tändeln und Bändeln schon seit den 1980er-Jahren im Wiener Repertoire, zuletzt ruhte es im Depot. Damals stand Konovalova auf wackligen Kinderbeinen und wusste noch nichts vom schwindelerregenden Thrill der exakten Drehung. Im September war Konovalova wieder einmal in ihrer Geburtsstadt Moskau: Beim Kremlin-Festival tanzte sie im Kreml-Palast ihre berühmten 32 Fouettés als Odile in „Schwanensee“. Heimweh? Energisch schüttelt sie den Kopf: „Ich habe hier meine Heimat gefunden. Ich will nicht mehr zurück, aber ich komme gern zu Besuch.“ Nicht nur nach Moskau, auch nach Bordeaux, Rom, Tokio. Die Konovalova ist überall gern Gast. „Aber zu Hause bin ich in Wien.“ Fehlt nur noch der österreichische Pass.

Tipp

„La Fille mal gardée“ von Frederick Ashton/Ferdinand Hérold/John Lanchbery, mit Liudmila Konovalova, Robert Gabdullin, Masayu Kimoto, 28. 11., Staatsoper. Weitere Vorstellungen in wechselnder Besetzung von 9. 12. bis 20. 1.

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