Flüchtlinge: "Hotspots sind unumgänglich"

 Auf der griechischen Insel Lesbos wurde bereits ein Hotspot eingerichtet.
Auf der griechischen Insel Lesbos wurde bereits ein Hotspot eingerichtet.(c) AFP (ARIS MESSINIS)
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Mehrere Faktoren verzögern das Vorhaben, in Italien und Griechenland elf Registrierungszentren zu installieren. Das Funktionieren des Plans ist dennoch alternativlos.

Wien/Malta. Auf der Mittelmeerinsel Malta, da, wo die EU-Staats- und Regierungschefs jüngst fieberhaft nach Lösungen in der Flüchtlingskrise gesucht haben und die EU-Asylagentur Easo ihr Büro hat, will trotz aller Rückschläge niemand an Aufgabe denken. Im Gegenteil: „Unumgänglich“ sei besonders das erfolgreiche Funktionieren der geplanten Registrierungszentren an den EU-Außengrenzen, wie Easo-Sprecher Jean-Pierre Schembri im Gespräch mit der „Presse“ sagt. Zu den Hotspots in Griechenland und Italien, von wo aus Schutzsuchende auf ganz Europa verteilt werden sollen, gebe es keine Alternative.

Wie Schembri denken bekanntermaßen auch die meisten Staats- und Regierungschefs der Union: Sie wollen die Flüchlingsströme an den Außengrenzen kanalisieren und die ungesteuerte Zuwanderung so in geordnete Bahnen lenken. Doch der Plan hat nicht nur einen Haken – wenngleich die teilweise chaotischen Zustände in den Ankunftszentren und der schleppende Anlauf der Flüchtlingsverteilung von Entscheidungsträgern in Brüssel gern als „normale Anfangsschwierigkeiten“ abgekanzelt werden. Fakt ist, dass von 160.000 Flüchtlingen, auf deren Verteilung sich die Mitgliedstaaten ohnehin nur mühsam einigen konnten, bisher lediglich 147 Personen tatsächlich umgesiedelt wurden. Die Anzahl der angebotenen Plätze – 3216 waren es zum Stichtag 12. November – reicht bei Weitem nicht aus. Laut Ratsbeschluss sollte die Relokation eigentlich innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen sein – angesichts der momentanen Situation ein völlig unrealistischer Zeitrahmen.

Wien besonders generös

Wie weit die Erwartungen an die Hotspots einerseits und die Hilfsbereitschaft in manchen EU-Hauptstädten andererseits auseinanderklaffen, macht aber auch ein anderer Zahlenvergleich deutlich: So hat Easo zur Unterstützung in den Registrierungszentren 374 Experten angefragt, bisher aber lediglich 177 Zusagen aus den Mitgliedstaaten erhalten. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex klagt über ein ähnliches Missverhältnis. Österreich, lobt Schembri, sei hier das generöseste Land: Wien allein hat der Easo 45 Experten angeboten, die Registrierung und Umverteilung vor Ort managen sollen. Bisher aber sind bekanntermaßen erst zwei Hotspots in vollem Betrieb: einer auf der italienischen Insel Lampedusa, wo die Flüchtlingszahlen zuletzt wegen der Witterung deutlich zurückgegangen sind, und einer auf Lesbos in der Ägäis. In Pozzallo, Porto Empedocle, Augusta und Trapani auf Sizilien sowie auf den griechischen Inseln Chios, Samos, Leros und Kos sollen weitere Registrierungszentren entstehen. Der Plan, die Arbeiten bis Ende November abzuschließen, dürfte aber nicht zuletzt wegen personeller und finanzieller Engpässe kaum machbar sein.

Der administrative Prozess zur Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Mitgliedstaaten findet indes oft anderswo statt. Easo-Experten bearbeiten die Flüchtlingsakten in Mailand, Rom und an anderen Standorten, um das geeignete Zielland für sie ausfindig zu machen. Manchmal, doch das sind wohl Ausnahmefälle, geht das ganz schnell: Eine Familie aus Syrien etwa, die nach Lesbos geflüchtet war, konnte im Rahmen des EU-Relokation-Programms nach nur zwei Wochen umgesiedelt werden und hat nun in Luxemburg ein neues Zuhause.

Oft aber dauert die Bearbeitung viele Monate. In der EU gebe es derzeit einen Rückstau von 778.000 Asylanträgen, so Schembri. Allein deren Erledigung würde über ein Jahr in Anspruch nehmen – selbst, wenn kein einziger Flüchtling mehr die europäische Grenze passiert. Nach wie vor aber kommen allein in Griechenland etwa 6000 Menschen täglich an; viele von ihnen reisen in Richtung Norden weiter. Die EU plant, entlang der Balkanroute Bearbeitungszentren zu schaffen, zusätzlich zu den Hotspots an den Außengrenzen. Auch dort sollen Flüchtlinge registriert und umverteilt sowie Rückführungen durchgeführt werden können. Der Status quo lässt jedoch wenig Hoffnung, dass dieses Vorhaben zeitnah umgesetzt wird.

AUF EINEN BLICK

Im Rahmen einer Asylkonferenz der Allianz der Demokraten und Liberalen in Wien interviewte die „Presse“ Jean-Pierre Schembri von der EU-Asylagentur Easo zu den Registrierungszentren.

Die EU-Kommission hatte bereits in ihrer im vergangenen Mai präsentierten Migrationsagenda ein Konzept für diese sog. Hotspots an den EU-Außengrenzen vorgeschlagen. Dort sollen Flüchtlinge identifiziert und registriert werden.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2015)

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