Viele Afghanen hängen fest – und berichten von Übergriffen der Polizei.
Sofia. Außen ist das Gebäude freundlich hellgelb gestrichen. Drinnen im ehemaligen Heim kommunistischer Parteigenossen blättert das schmutzige Weiß in Blasen von den Wänden, auf den Stühlen brauner Filz, der vor Jahrzehnten einmal grün war. Links vom Eingang warten zwei Dutzend neu angekommene junge Männer. Einen Raum weiter wird der 21-jährige Rahmatullah befragt.
Durch ein Loch im Stacheldrahtzaun, erzählt der Afghane, hätten ihn die Schlepper aus der Türkei nach Bulgarien gebracht. Gleich danach habe ihn die Polizei festgenommen. Bleiben wolle er nicht: Sein Ziel auf der Suche nach einem „humaneren, besseren Leben“ sei Westeuropa, sagt Rahmatullah, der früher in der Küche der Militärbasis Bagram für die Amerikaner gearbeitet hat. „Aber wenn ich hier einen Job finde, bleibe ich vielleicht doch.“
Rahmatullah weiß noch nicht, dass er wohl gar keine andere Wahl hat. Immer mehr Afghanen stranden in Bulgarien. Das Flüchtlingsheim Ovcha Kupel ist eines von sechs in Bulgarien, seine 860 Plätze sind derzeit nur zu 40 Prozent belegt. Die Syrer, heißt es hier, würden weniger; selbst jene, die schon einen Asylantrag gestellt haben, verschwinden mitunter spurlos weiter gen Westen.
Die vielen jungen Männer, die in Trauben vor dem Gebäude auf einer Anhöhe über Sofia stehen, stammen zum Großteil aus Afghanistan. Auch sie träumen vom Westen – obwohl die meisten längst hier registriert wurden, ob sie wollten oder nicht. Jene, deren Fingerabdrücke noch nicht in der Datenbank gelandet sind, wollen das um jeden Preis vermeiden: Sie schlafen im verwilderten Gelände vor dem Flüchtlingszentrum im Freien, im Gestrüpp. Sie dürften ohnehin nicht im Heim übernachten, es ist nur für Asylwerber während des Verfahrens gedacht. Für durchziehende Flüchtlinge seien hier keine Unterkünfte vorgesehen.
Das Problem: „Die Grenze ist zu“, sagt ein junger Mann in orangefarbener Jacke („Sie können mich Rush nennen“). Er habe für die Isaf-Mission in Afghanistan gearbeitet, erklärt er in fließendem amerikanischem Englisch. Jetzt fungiert er hier als Übersetzer, umringt von anderen jungen Afghanen. „Sie lassen uns nicht nach Serbien, an der Grenze haben sie sogar die Hunde auf uns gehetzt.“
Ein Bekannter sei schwer in den Unterschenkel gebissen worden. Ein anderer zeigt eine schlecht heilende Wunde an seinem Handgelenk. Die bulgarische Polizei habe sie verprügelt, ihnen Geld und Handys abgenommen, „sogar das Red Bull“. Die Klagen decken sich mit dem jüngsten Bericht einer serbischen NGO: Hundert Flüchtlinge berichteten darin von Todesdrohungen mit der Waffe, Erpressung, Raub und Körperverletzung durch bulgarische Polizisten. Er selbst, sagt Rush, sei an der Grenze zwei Tage festgehalten worden, „ohne Essen, wir durften nicht einmal aufs Klo“. In Bulgarien bleiben will er auf keinen Fall. „Es ist ein armes Land, es kann sich ja nicht einmal um seine eigenen Leute kümmern.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2015)