Flüchtlinge: Europa beginnt mit der Auslese

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Die Balkanstaaten lassen nur noch Syrer, Iraker und Afghanen weiterreisen. Auch Deutschland will nun offenbar Grenzen setzen.

Belgrad/Wien/Berlin. Die Balkanstaaten machen die Schotten zunehmend dicht: Für Flüchtlinge aus Afrika und Asien wird der Weg über die Balkanroute nach Westeuropa künftig merklich schwerer. Nach den EU-Mitgliedern Slowenien und Kroatien haben am Donnerstag auch Mazedonien und Serbien ihre Grenzen für alle Migranten geschlossen, die keine Kriegsflüchtlinge seien. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR lassen die Transitstaaten seit Donnerstag nur noch Syrer, Iraker und Afghanen passieren. Nach Serbien werden sie nur mit gültigen Dokumenten gelassen. „Das können eigene Papiere sein, oder wenn sie sich unterwegs registrieren ließen“, sagt UNHCR-Sprecherin Melita Sunjic.

Alle Transitstaaten an der sogenannten Balkanroute plagt die gemeinsame Furcht, bei einer Schließung der Grenzen in Deutschland mit den bei ihnen gestrandeten Immigranten alleingelassen zu werden. Die meisten der betroffenen Länder können schon jetzt den Transit der Flüchtlinge organisatorisch kaum mehr bewältigen. In Serbien steckten nahe der mazedonischen Grenze gestern Mittag 440 Leute fest, die nicht in EU-Länder reisen konnten. Sie kommen aus Marokko, Tunesien, Pakistan und Bangladesch. Auch in Griechenland gibt es vor der mazedonischen Grenze einen Rückstau. Donnerstagfrüh haben die Behörden damit begonnen, in Gevgelija, an der Grenze zu Griechenland, einen Zaun aufzustellen.

Salzburg droht mit Schließung

In Spielfeld, das sich an der österreichischen Grenze zu Slowenien befindet, landen derweil noch immer bis zu 8000 Flüchtlinge täglich. Ein Zaun wurde noch nicht aufgestellt, das Konzept dafür gibt es aber bereits. Einige hundert Kilometer weiter, in der Stadt Salzburg, hat unterdessen Bürgermeister Heinz Schaden (SPÖ) damit gedroht, das zentrale Transitquartier für Flüchtlinge, die sich auf den Weg nach Deutschland machen, ab dem kommenden Wochenende zu schließen. Denn dort würden auch Flüchtlinge untergebracht, die bereits in Österreich einen Asylantrag stellten, jedoch keine Unterkunft zugeteilt bekommen.

Seit Anfang November treffen nach wie vor täglich zwischen 5000 bis 8000 Flüchtlinge in Bayern ein. Seit Anfang September wurden mehr als 460.000 Ankünfte gezählt, wie es seitens des bayerischen Innenministeriums heißt. Kanzlerin Merkel zufolge gebe es an der deutsch-österreichischen Grenze erhebliche Fortschritte, wie sie vor einem Treffen mit ihrem Amtskollegen Werner Faymann sagte. Die Abläufe gingen inzwischen geordneter vonstatten. Faymann betonte in Berlin, es sei rückblickend betrachtet richtig gewesen, die Grenze für die aus Ungarn Kommenden zu öffnen.

Sind Kontingente die neue Lösung?

In Deutschland selbst wird es für Flüchtlinge immer enger. Nach dem „Wir schaffen das“ der Kanzlerin, bemüht man sich im politischen Berlin nun darum, eine sanfte, aber beständige Kehrtwende zu vollziehen. Der jüngste Anstoß dafür kam von Merkel selbst. Sie sprach bei dem G20-Gipfel am vergangenen Wochenende von Kontingenten. Demnach wolle man als EU solche Kontingente mit der Türkei, etwa für syrische Flüchtlinge, aushandeln. Auf diese Weise sollen die betroffenen Länder dazu bewogen werden, die Ausreise ihrer Bürger in Richtung EU einzudämmen. Als Größenordnung für die EU wird eine Zahl von 300.000 bis 500.000 Flüchtlingen kolportiert. Seit 2014 wurden in Deutschland rund 30.000 syrische Bürgerkriegsflüchtlinge im Rahmen von Kontingenten aufgenommen. In Anbetracht der aktuellen Flüchtlingszahlen wäre das freilich viel zu wenig. Zwischen Jänner und Oktober stellten allein knapp 104.000 Syrer einen Asylantrag in Deutschland. Über alle Herkunftsländer hinweg waren es über 331.000.

Der Kanzlerin käme ein Kontingent jedoch zupass, da es nicht nur ein wichtiges Signal an die Bevölkerung sein könnte, sondern auch an ihre eigene Partei. Am heutigen Freitag wird Merkel eine Rede auf dem Parteitag der Schwesterpartei CSU halten. Diese gilt als Scharfmacher in der Asyldebatte. Die Bayern sprechen sich schon seit Längerem für eine Obergrenze von Flüchtlingen aus und wollen ein Kontingent für Bürgerkriegsflüchtlinge entsprechend der „leistbaren Kapazitäten“ Deutschlands festlegen.

Aufgrund des hohen innenpolitischen Drucks hat sich die Koalition erst kürzlich auf die Errichtung von drei bis fünf Registrierzentren innerhalb Deutschlands verständigt. In diesen sollen unter anderem Flüchtlinge mit geringer Bleibeperspektive untergebracht werden, oder jene aus sicheren Herkunftsländern. Auf diese Weise hofft man, die eintreffenden Flüchtlinge zu kanalisieren. Jene, die keine Chance auf ein Bleiberecht haben, sollen so schnell wie möglich zurückgeschickt werden. Der Plan ist, die Asylverfahren binnen zweier Wochen abzuarbeiten. Noch in diesem Jahr soll das Gesetz in Kraft treten.

Zuletzt entschied das deutsche Innenministerium, das Dublin-Verfahren für syrische Flüchtlinge erneut anzuwenden. Das Dublin-Verfahren sieht die Rücksendung von Asylwerbern in jenes Land vor, in dem diese als Erstes europäischen Boden betreten haben. Zwar ist fraglich, wie viele Syrer tatsächlich betroffen sein werden. Aber man merkt: Deutschland will oder kann so wie bisher nicht weitermachen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2015)

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