Während osteuropäische Länder nach den Anschlägen noch weniger Willen zur Aufnahme von Flüchtlingen zeigen, setzt der französische Staatspräsident ein Zeichen dafür, dass Terrorismus und der Zustrom von Schutzbedürftigen getrennt behandelt werden müssten.
Paris. Nach den Anschlägen in Paris wird die Kluft zwischen Ost- und Westeuropa bei der Aufnahme von Flüchtlingen noch größer. Während osteuropäische Länder ein weiteres Argument gefunden haben, sich gegen die Erfüllung der vereinbarten Aufnahmequote zu stellen, kündigte Frankreichs Staatspräsident, François Hollande, die Aufnahme von 30.000 Flüchtlingen in den nächsten beiden Jahren an. Das ist mehr als jener Anteil, zu dem sich Paris bisher im Rahmen der EU-Vereinbarung bereit erklärt hatte.
„Einige wollen nun eine Verbindung zwischen der Fluchtwelle aus dem Nahen Osten und den Terroristen herstellen“, sagte Hollande in einer Rede vor Bürgermeistern aus ganz Frankreich. „Die Wahrheit ist, dass diese Verbindung besteht, weil Einwohner aus Teilen Syriens und des Irak vor jenen fliehen, die uns jetzt attackiert haben.“ Frankreich müsse deshalb seine Solidarität mit diesen Flüchtlingen unter Beweis stellen.
Die Gleichsetzung von Asylwerbern mit potenziellen Terroristen lehnt Hollande im Gegensatz zu Aussagen der polnischen und der ungarischen Regierung ab. Polens neue rechtskonservative Ministerpräsidentin, Beata Szydło, kündigte zwar an, dass sich ihr Land am Kampf gegen den Terrorismus beteiligen werde. Gleichzeitig signalisierte sie aber eine Ablehnung für jeglichen Flüchtlingsverteilungsschlüssel in der EU. Nach den islamistischen Attentaten in Paris hieß es zunächst, die Regierung wolle nun überhaupt keine Personen aus den Kriegsgebieten aufnehmen. Inzwischen bekräftigte Szydło jedoch, dass Warschau sich an die Zusage der Vorgängerregierung halten werde. Diese Zusage war sowieso sehr gering: 6182 Flüchtlinge soll Polen im Rahmen des zweijährigen EU-Umsiedlungsprogramms von 160.000 Menschen, dem bei einem Beschluss der Innenminister im September auch Warschau zustimmte, aufnehmen. Bisher hat die Regierung laut Kommissionsangaben vom 12. November aber noch keinen einzigen Platz konkret angeboten.
Der ungarische Regierungschef, Viktor Orbán, hat angesichts der Terroranschläge in Paris erneut die europäische Flüchtlingspolitik kritisiert. Die verbindlichen Quoten zur Umverteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU würden den Terrorismus in Europa verbreiten, behauptete Orbán. Auch die slowakische Führung stellte eine Verbindung zwischen der Flüchtlingswelle und dem Terrorismus her. Regierungschef Robert Fico kündigte die Überwachung aller im Land befindlichen Moslems und Flüchtlinge an. Bisher hat die Slowakei lediglich sieben Personen aus den Kriegsgebieten als Flüchtlinge anerkannt. Insgesamt wird die Zahl der im Land lebenden Moslems auf 3000 geschätzt.
Ungarn und die Slowakei waren neben Tschechien und Rumänien auch jene Länder, die beim Beschluss zur EU-Flüchtlingsverteilung im September überstimmt worden waren. Entsprechend groß ist der Zorn in Budapest, Bratislava, Prag und Bukarest nach wie vor – wenig überraschend also, dass sie die ihnen zugeteilte Quote bisher nicht ansatzweise erfüllen: Rumänien hat 30 Plätze fix zugesagt (Quote: 4180), die anderen drei Länder noch keinen einzigen Platz.
147 Menschen wurden bisher verteilt
Allerdings befinden sie sich damit in guter Gesellschaft. Insgesamt gibt es bisher von 14 Mitgliedstaaten Angebote für 3216 Plätze; 147 in Italien und Griechenland gestrandete Flüchtlinge wurden effektiv verteilt: nach Finnland, Frankreich, Spanien, Schweden und Luxemburg. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte deshalb bereits anlässlich des Sondergipfels zur Flüchtlingskrise auf Malta vor gut einer Woche, dass die Verteilung der 160.000 Schutzsuchenden bei diesem Tempo nicht zwei, sondern 86 Jahre in Anspruch nehmen würde. Auch Österreich hat bisher noch nicht „eingemeldet“, wie es im Innenministerium heißt. Jedoch ist das ob der Tatsache, dass allein im heurigen Jahr 95.000 Asylantragsteller erwartet werden, die über die Balkanroute gekommen sind, kaum verwunderlich. (wb/aga)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2015)