Wertestudie: Politik bei Österreichern "unten durch"

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Wie Österreich denkt. Faktoren für Glück sind Familie, hohe Bildung und nicht in Wien leben. Die Arbeitszufriedenheit sinkt. Wer mit Partner und Kindern lebt, ist glücklicher.

Eine Art Unzufriedenheit auf hohem Niveau, und das im siebtreichsten Land der Welt: Auf dieses Gefühl sind die Autoren bei der Arbeit an der dritten Neuauflage (nach 1990 und 1999) der großen österreichischen Wertestudie wiederholt gestoßen.

Die Österreicher sind gesellschaftspolitisch konservativ eingestellt, die Familie steht bei beiden Geschlechtern nach wie vor hoch im Kurs. Politik hingegen scheint „unten durch“ zu sein. Sie nimmt bei der Bedeutung der Lebensbereiche den letzten Platz ein, noch hinter der Religion (siehe Grafik).

Männerwunsch: Weniger arbeiten

Rollenklischees weichen zwar langsam auf, sind in Österreich aber noch immer recht hartnäckig: Der Bericht bescheinigt den heimischen Frauen, „überwiegend einkommens-, aber nicht karriereorientiert“ zu sein. Männer sind vollzeiterwerbstätig und arbeiten mit 44,3 Wochenstunden länger als in Europa üblich. Frauen hingegen sind häufiger in Teilzeitjobs zu finden als im Europa-Schnitt. Interessanterweise wünscht sich aber ein nicht unbeträchtlicher Teil der Männer, weniger zu arbeiten, um mehr Zeit für die Kinder zu haben: je höher die Bildung, desto häufiger. Bei den Höchstgebildeten (Matura oder Hochschulabschluss) ist dies jeder zehnte Mann. Doch flexiblere Arbeitszeiten sind gefährlich und werden im Zweifel vom sozialen System bestraft, wie die Autoren meinen.

Dass eine vierköpfige Familie von einem (Männer-)Gehalt leben kann, wird immer unwahrscheinlicher. Der Anteil an Alleinverdienerhaushalten hat sich seit den Achtzigerjahren daher nicht nur aus gesellschaftlichen, sondern auch aus ökonomischen Gründen verringert. Klar geregelte Arbeitszeiten und eine „Lebensstellung“ werden seltener. Selbst bei Akademikern ist die Lohnerwartung deutlich geschrumpft, gleichzeitig stieg der Anteil der „working poor“. Kein Wunder, dass insgesamt die Zufriedenheit mit der eigenen beruflichen Situation in den letzten zehn Jahren gesunken ist.

Glaubt man dem Bericht, so ist aber auch die Familie zusehends unter Druck geraten – eben auch wegen „diskontinuierlicher Erwerbsverläufe“. Gleichzeitig ist der Betreuungsaufwand für das einzelne Kind gestiegen, weil es weniger Geschwister, Verwandte, gleichaltrige Nachbarskinder gibt.

Abtreibung wird abgelehnt

Die Familiengründung wird daher hinausgeschoben – und manchmal gar nicht mehr realisiert. Auffällig ist die hohe Ablehnung der Abtreibung: Eine Mehrheit von 52 Prozent ist dagegen, wenn das Motiv darin besteht, dass die Frau ledig ist oder wenn ein Paar keine weiteren Kinder mehr will. Ist aber eine Behinderung des ungeborenen Kindes wahrscheinlich, halten 70 Prozent eine Abtreibung für zulässig.

Ein Adoptionsrecht für Homosexuelle wird ebenfalls mehrheitlich abgelehnt, die größte Abneigung dagegen herrscht mit 67 Prozent in Oberösterreich und Salzburg. In Wien ist die Zustimmung mit 31 Prozent am höchsten.

Je gebildeter, desto glücklicher

29 Prozent der Österreicher sind sehr, weitere 58 Prozent ziemlich glücklich. Je höher Bildung und Einkommen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, glücklich zu sein. Die Mehrheit der „sehr Glücklichen“ lebt in einer Familie mit mindestens zwei Generationen. Am glücklichsten ist man in Vorarlberg und Tirol, am geringsten in großen Städten und in Wien.

Und wie schaut die Lebensrealität der Österreicher aus? In einem Drittel der Haushalte leben Partner mit Kindern, in einem weiteren Drittel Paare ohne Kinder, der Rest sind Singlehaushalte. In Wien beträgt der Anteil von Haushalten mit Kindern nur 21 Prozent, die meisten gibt es in der Steiermark und Kärnten.

Wer an Gott glaubt, hat übrigens deutlich häufiger Kinder als Nichtgläubige. „Ordnungswerte“ wie gute Manieren erleben derzeit wieder eine Renaissance und gelten als Ausdruck sozialer Kompetenz, während „Selbstverwirklichungswerte“ (Unabhängigkeit, Fantasie, Kreativität) sinkende Zustimmung haben.

Rabenmütter und Hausfrauen

Dass eine berufstätige Mutter keine Rabenmutter ist, erhält mehr Zustimmung als 1999 – paradoxerweise ebenso wie die Meinung: „Hausfrau sein ist genauso befriedigend wie ein Beruf.“ Mehr als die Hälfte der Befragten bejaht dies. Gleichzeitig meinen aber 77 Prozent, dass beide Partner zum Haushaltseinkommen beitragen sollen.

Der Generationenzusammenhalt wird brüchiger. Zwar fühlen sich 57 Prozent der Befragten verpflichtet, sich um ihre kranken Eltern zu kümmern. Eine Langzeitpflege kann sich aber nur mehr ein Drittel vorstellen. Die Politik wird sich also mit einem größeren Bedarf an Betreuungsdiensten auseinandersetzen müssen.

AUF EINEN BLICK

„Die Österreicher/-innen, Wertewandel 1999 bis 2008“ nennt sich die große neue, im Czernin-Verlag erscheinende dritte Wertestudie. Hrsg: Regina Polak, Ursula Hamachers-Zuba, Christian Friesl, zahlreiche andere Experten schrieben mit. Der „Presse“ liegen exklusiv die Kapitel Arbeitswelt sowie Partnerschaft und Familie vor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2009)

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