Dayton: Friedensabkommen mit Nebenwirkungen

Slobodan Milosevic, Alija Izetbegovic und Franjo Tudjman im November 1995 in Dayton
Slobodan Milosevic, Alija Izetbegovic und Franjo Tudjman im November 1995 in DaytonAPA/AFP/JOHN RUTHROFF
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Vor 20 Jahren wurde mit dem Abkommen von Dayton der Bosnien-Krieg beendet, dem mehr als 100.000 Menschen zum Opfer gefallen waren. Die Basis für ein funktionierendes Staatswesen hat er nicht gelegt.

Das Jubiläum eines Friedensvertrags ist an sich ein Grund zum Feiern. Doch der Vertrag von Dayton (US-Bundesstaat Ohio), der am 21. November 1995 paraphiert wurde, hat keinen besonders guten Ruf. Er hat zwar den Bosnien-Krieg beendet, aber bis heute keine Grundlage für ein funktionierendes Staatswesen geschaffen.

Als US-Präsident Bill Clinton am 1. November vor 20 Jahren die Präsidenten von Serbien (Slobodan Milosevic), Franjo Tudjman (Kroatien), sowie Bosnien und Herzegowina (Alija Izetbegovic) in der Wright-Patterson Air Force Base kasernierte, ging es nur um eines: dem Morden zwischen den Volksgruppen, das im Frühjahr 1992 im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens begonnen hatte, ein Ende zu bereiten. Nachdem es schon rund um ein Unabhängigkeitsreferendum und die Autonomieerklärung serbisch dominierter Gebiete zu schweren Unruhen gekommen war, brachen die Kämpfe zwischen den Volksgruppen im April 1992 offen aus.

Wie schon in Kroatien agierte die jugoslawische Bundesarmee offen proserbisch. Sie zog sich zwar bald offiziell zurück, hinterließ den bosnischen Serben aber viel militärisches Gerät. Dies trug maßgeblich zur militärischen Überlegenheit der bosnischen Serben bei – es galt ja grundsätzlich ein Waffenembargo für den ex-jugoslawischen Raum. Dazu kam eine Vielfalt an paramilitärischen Gruppen aus dem „Mutterland“.

So hilflos wie heute in Syrien

Die Staatengemeinschaft agierte fast so hilflos wie heute in Syrien: Immerhin wurden zahlreiche Waffenstillstände vermittelt, doch nur, um von den Konflitkparteien sogleich gebrochen zu werden. Es wurden mehrere Friedenspläne ausgearbeitet (unter anderem der Vance/Owen-Plan und der Owen/Stoltenberg-Plan), die jedoch nie die Chance auf Realisierung hatten und von den militärischen Realitäten rasch zur Makulatur gemacht wurden. 1993 richtete die UNO sogar Schutzzonen ein. Sie erwiesen sich letztlich als wirkungslos, wie sich am Dramatischsten in Srebrenica zeigte: Am 11. Juli 1995 eroberten die bosnischen Serben die Muslim-Enklave und ermordeten rund 8000 männliche bosniakische Zivilisten, die jüngsten 13 Jahre alt. Die mutmaßlichen Hauptdrahtzieher (Radovan Karadzic, der politische, und Ratko Mladic, der militärische Chef der bosnischen Serben) konnten erst 2008 bzw. 2011 in Serbien gefasst werden und müssen sich gegenwärtig vor dem Jugoslawien-Tribunal in Den Haag verantworten.   

Ende August 1995 begann die NATO schließlich mit ihrer Operation „Deliberate Force“, die sich sukzessive auf Ziele in der gesamten „Republika Srpska“ ausweitete. Milosevic, der im Westen zu Recht als Schlüsselfigur angesehen wurde, signalisierte schließlich sein Einlenken, und die Nato beendete ihre Angriffe am 20. September. Zwei Monate später stand das Abkommen: Es beendete einen Krieg, der mehr als 100.000 Todesopfer gefordert hatte; einen Krieg, in dem alle Seiten Kriegsverbrechen begingen, die meisten gingen allerdings auf das Konto der serbischen Seite.

Blockade und Apathie

Die Friedensordnung von Dayton etablierte in Bosnien und Herzegowina ein internationales Protektorat und schuf zwei weitgehend ihren eigenen Weg gehende Entitäten, die bosniakisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska, die von der nicht sehr festen Klammer des Gesamtstaates mehr oder weniger zusammengehalten werden. Zusätzlich gibt es alleine in der Föderation zehn Kantone, die wiederum selbst sehr eigenmächtig agieren können. Der zweigeteilte Staat für drei Nationen (von den Minderheiten, die es zusätzlich gibt, ist selten die Rede), ist somit bis heute ein dysfunktionales Gebilde, in dem vor allem eines funktioniert: die wechselseitige Blockade.

Um diese zu brechen, wurde der sogenannte "Hohe Repräsentant der Staatengemeinschaft" (zweimal bekleidete ein Österreicher das Amt, Wolfgang Petritsch von 1999 bis 2002, Valentin Inzko seit 2009) 1997 mit den sogenannten "Bonn Powers" ausgestattet, die ihm weitreichende Eingriffsmöglichkeiten verliehen. Er konnte gewählte Amtsträger absetzen und per Dekret Reformen implementieren, zu denen die bosnischen Politiker nicht Willens waren. Es brauchte zum Beispiel den Hohen Repräsentanten, um eine gemeinsame Flagge, eine Hymne und eine Währung einzuführen. Auf der anderen Seite haben die Bonn Powers und ihre Anwendung die Entwicklung funktionierender demokratischer Institutionen und mehr noch einer demokratischen Kultur nicht befördert, im Gegenteil: Sie "entheben lokale Mandatsträger der Verantwortung, unpopuläre Entscheidungen vertreten und durchsetzen zu müssen", schrieb die Bosnien-Expertin Caroline Hornstein Tomic anlässlich "Zehn Jahre Dayton" 2005. Dies führte als "Risiko und Nebenwirkung" zu politische Apathie.

Die Macht ethnischer Lobbies

Der Befund, den Hornstein Tomic 2005 stellte, ist unverändert gültig: "Zwar konnte das Daytoner Friedensabkommen von 1995 einen fragilen, zweigeteilten Staat dreier Nationen kreieren, in dem der Hohe Repräsentant mit den ihm verliehenen Sondervollmachten, den „Bonn Powers“, auch den Prozess eines logistischen und institutionellen State Building vorantreiben konnte, in dem jedoch ethnische Lobbies nach wie vor einen tatsächlichen Reformprozess, ein Zusammenwachsen der verfeindeten gesellschaftlichen Gruppen, verhindern." Und so exisitiert die EU-Perspektive von Bosnien und Herzegowina auch 20 Jahre nach Kriegsende hauptsächlich auf dem Papier.

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