VatiLeaks: Kafka im Gerichtssaal des Vatikans

VATICAN VATILEAKS TRIAL
VATICAN VATILEAKS TRIAL(c) APA/EPA/ETTORE FERRARI (ETTORE FERRARI)
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Der Prozess um die Verbreitung geheimer Dokumente hat begonnen. Die zwei betroffenen Journalisten warnen vor einem Angriff auf die Pressefreiheit.

Rom. Nur zwanzig Tage nach dem Erscheinen zweier Enthüllungsbücher über Misswirtschaft und Korruption im Vatikan hat in Rom der Strafprozess um die illegale Weitergabe der vertraulichen Dokumente begonnen. Angeklagt sind die beiden Buchautoren, die Journalisten Gianluigi Nuzzi (46) und Emiliano Fittipaldi (41), dazu – erstmals im Vatikan – ein ranghoher Kurienprälat, Angel Vallejo Balda (54) mit einem seiner Mitarbeiter, sowie die 33-jährige PR-Fachfrau Francesca Immacolata Chaouqui.

Laut Anklage haben die fünf sich vor zwei Jahren zu einer „kriminellen Vereinigung“ zusammengefunden, um solche „vertraulichen Dokumente“ zu beschaffen und zu verbreiten, die „fundamentale Interessen“ des Kirchenstaats berühren. Das vatikanische Strafrecht droht mit vier bis acht Jahren Haft. Die entsprechenden Paragrafen sind massiv verschärft worden, seit der Butler von Papst Benedikt XVI. vor drei Jahren vertrauliche Papiere von dessen Schreibtisch entwendet und dem Journalisten Nuzzi zugespielt hat. Im Andenken an jenen Prozess, der 2012 mit der schnellen Verurteilung und der ebenso schnellen, weihnachtlichen Begnadigung des Schuldigen endete, läuft das aktuelle Verfahren inoffiziell unter dem Titel „VatiLeaks II“.

Die Journalisten Fittipaldi und Nuzzi, auch wenn sie sich am ersten Verhandlungstag wider Erwarten im Vatikangericht eingefunden haben, sehen in dem Prozess eine Attacke auf die Pressefreiheit. Mit der Verbreitung unbequemer Dokumente hätten sie lediglich ihre Arbeit getan, sagen sie; diese sei von allen Menschenrechtskonventionen geschützt.

„Das Wesen unseres Jobs ist es“, so Fittipaldi, „vertrauliche Dokumente zu zeigen und die Leute über Untaten der Mächtigen zu informieren.“ Nuzzi bezeichnete den Prozess als kafkaesk. Demgegenüber erklärte der vatikanische Staatsanwalt, es gehe nicht um die Veröffentlichung, sondern um die illegale Beschaffung der Dokumente. Dabei sei „unerlaubter Druck“ auf das Vatikan-Personal ausgeübt worden. Die in den beiden Büchern veröffentlichen Papiere stammen aus der Studienkommission für die wirtschaftlichen und administrativen Angelegenheiten (Cosea) des Heiligen Stuhls, die Papst Franziskus im Juli 2013 eingerichtet hat.

Brandrede des Papstes enthüllt

Vallejo Balda, zuvor Spitzenmann der vatikanischen Wirtschaftspräfektur, war Sekretär dieser Kommission; in diese schleuste er aus nie dargelegten Gründen auch seine Bekannte Chaouqui ein. Unter dem Druck der Ermittlungen zerbrach die Freundschaft zwischen den beiden; sie beschuldigen sich derzeit gegenseitig des Geheimnisverrats. Der Monsignore, der seit drei Wochen in Untersuchungshaft sitzt, fühlt sich von Chaouqui als Marionette missbraucht.

Im Prinzip decken die von der päpstlichen Untersuchungskommission selbst mit Mühe und unter hinhaltendem Widerstand der Kurienbehörden beschafften Daten auf, dass die Vatikanfinanzen spätestens im Frühjahr 2013 in unkontrollierter Weise aus dem Ruder gelaufen sind und ein Bankrott des Kirchenstaats drohte. Selbst die Kardinäle, die sich im März 2013 zum Konklave in Rom eingefunden hatten, waren mit oberflächlichen, beschönigenden Informationen abgespeist worden; Nachfragen wurden damals rüde abgewiesen. Das war der Grund dafür, dass Franziskus sofort eine Untersuchugskommission einsetzte. Auch seine Brandrede vor dem Wirtschaftsrat des Vatikans im Juli 2013 ist Teil der Enthüllungen Nuzzis.

Irgendjemand hatte Franziskus‘ Worte illegalerweise mitgeschnitten. Was die Bücher Nuzzis und Fittipaldis nicht berichten, ist der aktuelle Stand der Reformen im Vatikan. Das Bild, das sie zeichnen, ist also veraltet. Andererseits stellen sich diese Reformen immer noch als große, offene und in Teilen recht unübersichtliche Baustelle dar.

Dem Prozess wird in Rom nicht viel mehr als symbolische Bedeutung beigemessen. Im Fall einer Verurteilung müssten Italien und Spanien als Herkunftsländer der Angeklagten ihre Staatsbürger dem Vatikan ausliefern; das ist schon deshalb sehr unwahrscheinlich, weil die Veröffentlichung geheimer Dokumente in italienischen Medien völlig normal ist. In diesem Sinn hat sich auch die römische Tageszeitung „La Repubblica“ einen Spaß draus gemacht, den aktuellen Anklagesatz zu drucken, bevor die Beschuldigten selbst ihn hatten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2015)

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