Seit September blockieren tatarische Aktivisten den LKW-Verkehr auf die Krim. Dabei sind sie eine zweifelhafte Koalition eingegangen.
Kiew/Simferopol/Wien. Dass die Krim wieder auf die politische Tagesordnung zurückkehren würde, hat Nariman Dschelalow schon seit der handstreichartigen Annexion der ukrainischen Halbinsel durch Russland im März 2014 gehofft. Lange sah es nicht danach aus: Der Krieg im Donbass tobte, und auf internationalen Foren fand der russische Völkerrechtsbruch kaum noch Erwähnung; manch westlicher Politiker sprach sich dafür aus, den Verlust der Krim für einen Frieden in der Ostukraine hinzunehmen. „Wenn sich die Lage in der Ostukraine beruhigt, dann wird die Krimtataren-Karte wieder aktiv ausgespielt“, prognostizierte hingegen der Vizechef der Krimtataren-Organisation Medschlis.
Ein Sabotageakt und seine dramatischen Folgen haben das Thema Krim in die Medien zurückgebombt. Doch die Geschichte der Eskalation beginnt bereits Anfang Herbst – als der Gefechtslärm am Kriegsschauplatz Donbass erstmals seit Beginn des militärischen Konflikts für längere Zeit verstummte.
Seit Anfang September hielten sowohl die ukrainische Armee als auch die Separatisten Waffenruhe ein. Wenig später, am 20. September, machten Tataren vom ukrainischen Festland mit ihrer schon länger geäußerten Drohung Ernst. Sie blockierten die Überfahrt auf die Halbinsel Krim. Ihre Forderung: Erst nach Freilassung ihrer politischen Gefangenen würden wieder Warenlieferungen durchgelassen.
Kiew heißt Blockade gut
Die Blockade, bei der die Tataren zweifelhafte Unterstützung aus dem Pool des Rechten Sektors erhielten, und mehr noch die gewaltsame Unterbrechung der Stromversorgung von vergangener Woche, wird in der Ukraine kontrovers diskutiert: Nationalisten und patriotisch Gesinnte unterstützen sie. Sie werfen dem Staat und bestimmten Businessmännern Geschäftemacherei mit den russischen „Okkupanten“ vor. Der mit Präsident Petro Poroschenko konkurrierende Premier Arsenij Jazenjuk, der nun die Lieferung bestimmter Lebensmittel auf die Krim offiziell verbieten will, versucht nun sein Profil als Hardliner zu schärfen. Andere Stimmen halten weder die Blockade noch die Sachbeschädigung (hinter der man Ultranationalisten vermutet) für sinnvoll. Auf der Krim lebende Tataren wie Nariman Dschelalow geraten unter Druck.
Noch problematischer ist, dass Kiew das (Ver-)Handeln einer Handvoll Aktivisten überlassen hat. Seit Beginn der Blockade hieß die Regierung die Aktion gut. Jetzt, da sogar die Reparaturarbeiten behindert werden, scheint man selbst nicht mehr Herr der Lage zu sein, sondern Spielball. Wie schon bei der mehrtägigen Schießerei in Transkarpatien im Juli stellen Angehörige des Rechten Sektors das Gewaltmonopol des Staates infrage.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2015)