Russland liefert kein Gas mehr an die Ukraine. Europa ist nicht betroffen, geben EU-Kommission und Österreichs Regulator Entwarnung. Doch sollte Gazprom die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 (mit der OMV) wirklich bauen, könnte es teuer werden – für die Ukraine und die EU.
Wien/Kiew. Am Donnerstag stoppte Russland seine Gaslieferungen an die Ukraine. Wenige Tage nachdem Unbekannte die Stromversorgung der von Russland annektierten Krim-Halbinsel gekappt haben, überrascht diese Meldung nur wenige. Doch was klingt wie ein politisches Revanchefoul, hat vermutlich vor allem wirtschaftliche Gründe. Die ukrainische Naftogaz – mit der Gazprom im Dauerstreit über unbezahlte Rechnungen – bestellt selbst kein Erdgas mehr aus Russland. Folglich kommen auch keine Lieferungen an. Kiew pokert um bessere Preise und hat bereits angekündigt, sich im Notfall diesen Winter über europäische Partner versorgen zu wollen. Der russische Staatskonzern Gazprom nutzte den gestrigen Tag hingegen für eine sanfte Drohgebärde Richtung Europa: Mit dem Lieferstopp in die Ukraine sei „auch Europas Versorgung im kalten Winter gefährdet“, ließ Gazprom-Chef Alexei Miller wissen.
Tatsächlich ist die Aufregung in Europa aber überschaubar. Die EU bezieht zwar immer noch ein Drittel ihres Erdgases aus Russland – knapp die Hälfte davon über die Ukraine. Dennoch ist die Situation heute nicht vergleichbar mit den Gaskrisen in den Jahren 2006 und 2009, als weite Teile Osteuropas komplett unterversorgt waren. Der Transit nach Europa sei nicht betroffen, die Speicher seien gut gefüllt, betont die EU-Kommission.
Gas aus Europa reicht für Ukraine nicht
Komplett verzichten kann die Ukraine auf russische Erdgaslieferungen aber auch in diesem Winter nicht, gibt Österreichs Energieregulator Walter Boltz im Gespräch mit der „Presse“ zu bedenken. Derzeit sind die Gasspeicher des Landes zwar mit 16,5 Milliarden Kubikmeter Gas um 13 Prozent besser gefüllt als vor einem Jahr. Aber das reiche nicht aus, um das Land sicher über den Winter zu bringen. Auch der ventilierte Plan, sich vollkommen über europäische Lieferanten versorgen zu können, sei eher wenig ausgegoren.
In den vergangenen Jahren haben die Europäer den Reexport russischen Gases Richtung Ukraine als kräftigstes Argument gegen Moskau für sich entdeckt. Doch die technischen Kapazitäten reichen nicht aus, um die russischen Lieferungen in die Ukraine komplett zu ersetzen. Europa könnte bestenfalls eine Versorgungskrise abmildern – solange russisches Gas weiterhin in der EU landet.
Europas Versorgung ist durch den aufkeimenden Konflikt nicht sonderlich gefährdet. Schon seit dem Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 hat die Bedeutung der Ukraine als Transitland deutlich abgenommen. Im Vorjahr pumpte Russland nur noch 62 Milliarden Kubikmeter Gas durch die Ukraine nach Europa – um 34 Milliarden Kubikmeter weniger als zuvor.
Die EU könnte doppelt zahlen
Im Jahr 2019 will die Gazprom – mit kräftiger Beteiligung der heimischen OMV – die Zwillingspipeline Nord Stream 2 in Betrieb nehmen und den Transit durch die Ukraine komplett beenden. Das wäre eine Hiobsbotschaft für die Ukraine, aber auch für Europa, betont Boltz. Denn auch wenn weiterhin ausreichend russisches Gas durch die Ostsee in der EU landen würde, verliere die Ukraine dadurch rund zwei Milliarden Euro an Transitgebühren. Geld, das das wirtschaftlich angeschlagene Land dringend brauchen wird. Da die Lücke im Kiewer Budget irgendwie gestopft werden muss, könnte die EU am Ende auch dafür aufkommen müssen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2015)