Migration: Wie Zahlen uns zwingen, neu zu denken

Die Daten zur Migration wirken gegen Vorurteile.

In Goethes „Faust“ ist das „Kriegsgeschrei, hinten weit in der Türkei“ bloß Anlass für eine behagliche Sonntagsplauderei. Darüber können wir heute nur bitter lächeln. Aber bei der Zuwanderung denken wir noch wie der Herr Geheimrat: Je ferner, desto fremder, desto schwerer zu integrieren. Schon auf dem Balkan endet diese Logik: Christliche Serben haben die gleichen Probleme auf dem heimischen Arbeitsmarkt wie muslimische Türken. Warum? Gern fischen wir in den trüben Gewässern der Religion, Kultur und Mentalität nach Gründen, warum Fremde bei uns nicht heimisch werden. Aber im Trüben sieht man nichts.

Es geht auch klarer: Wir haben in früheren Jahrzehnten beide Gruppen als billige Arbeitskräfte ins Land gelockt und weder gefordert noch gefördert, dass sie Deutsch lernen und sich weiterbilden. Kein Wunder, dass sie und ihre Kinder allzu oft keinen Job finden. Dafür haben – welch Ironie! – die meist muslimischen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien beruflich fast so gut Fuß gefasst wie wir „echten Österreicher“. Eine verkürzte, rein ökonomische Sichtweise? Wer heute eine sichere Arbeit hat, kann offenbar die Sprache. Wer also Deutsch spricht und sich jeden Tag unter inländische Kollegen mischt, der ist in Österreich angekommen. Egal, ob er zu Christus, Mohammed oder keinem von beiden betet.

karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2015)

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