Während die Spannungen mit Moskau steigen, schickt Ankara Panzer. Die USA verlangten offenbar von der Türkei, die Grenze zu Syrien dichtzumachen, um den IS vom Nachschub abzuschneiden.
Ein Konvoi aus Militärfahrzeugen hat sich auf den Weg zur syrischen Grenze gemacht. Etwa 20 türkische Kampfpanzer und zahlreiche gepanzerte Fahrzeuge seien im Kommandobereich der Fünften Gepanzerten Division in der Grenzprovinz Gaziantep eingetroffen, berichtet die türkische Zeitung „Daily Sabah“. Das Blatt gilt als der türkischen Regierung nahestehend. Die Truppenverlegung kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem die diplomatischen Spannungen zwischen der Türkei und Russland weiter steigen
Seit dem Abschuss eines russischen Bombers vom Typ Su-24 durch die türkische Luftwaffe vor einer Woche herrscht zwischen Moskau und Ankara Eiszeit. Russland fliegt seit 30. September Luftangriffe in Syrien, um das Regime des syrischen Machthabers Bashar al-Assad zu unterstützen. Ein Teil der russischen Attacken gilt zwar den Extremisten des sogenannten Islamischen Staates (IS). Der Großteil traf bisher aber andere Rebelleneinheiten, die vor allem gegen das Assad-Regime kämpfen. Russland hat zuletzt auch Gebiete bombardiert, in denen Milizen der turkmenischen Minderheit im Einsatz sind. Ankara sieht sich als Schutzmacht der Turkmenen in Syrien.
Dass die Türkei nun weitere Truppen in das Grenzgebiet schickt, hängt nicht nur mit den türkisch-russischen Spannungen zusammen. Laut Bericht des „Wall Street Journal“ verlangen die USA von Ankara, weitere Einheiten an der türkisch-syrischen Grenze zu positionieren. Demnach solle ein 98 Kilometer langer Grenzstreifen abgeriegelt werden, um den IS in Syrien von seinen Nachschubwegen abzuschneiden. Beamte des Pentagons schätzen, dass die Türkei dafür 30.000 Soldaten benötige, berichtet das „Wall Street Journal“. Bisher konnte der IS weitgehend ungehindert Kämpfer über die Türkei in seinen Herrschaftsbereich einschleusen.
Für Flüchtlinge wird es schwieriger
Die Türkei ließ über ihre Grenzen aber auch rund zwei Millionen syrischer Flüchtlinge ins Land. Damit könnte es nun vorbei sein. So berichtete die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, dass es für Syrer nur mehr sehr schwer sei, in die Türkei zu gelangen. Die Grenzübergänge für Flüchtlinge seien weitgehend dichtgemacht worden.
Die EU-Staaten haben soeben mit Ankara vereinbart, dass die türkischen Behörden die Weiterreise von Schutz suchenden Syrern nach Europa unterbinden.
Mit den Forderungen zur Abriegelung der Grenze kommt auch die Idee einer Schutzzone in Syrien wieder aufs Tapet. Die Türkei verlangt schon seit Längerem, eine derartige Pufferzone auf syrischem Gebiet einzurichten. Sie würde zwischen den syrischen Städten Jarabulus und Azaz liegen – also genau in dem Grenzabschnitt, der auf syrischer Seite noch nicht von kurdischen Einheiten kontrolliert wird (siehe Grafik).
Offiziell soll die Zone dazu dienen, den IS aus dem Grenzgebiet zurückzudrängen und auf syrischem Territorium ein sicheres Umfeld für Flüchtlinge zu schaffen. Doch die Strategen in Ankara würden damit mehrere Fliegen auf einen Streich erwischen: Sollte die Türkei eine derartige Pufferzone militärisch kontrollieren, könnten die syrischen Kurden nicht mehr ihren Kanton Afrin ganz im Westen mit ihrem restlichen Gebiet verbinden.
Zudem würde ein Gegengewicht zu den syrischen Truppen geschaffen, die derzeit – mit russischer Luftunterstützung – etwas weiter südlich, nahe Aleppo, vorzurücken versuchen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2015)