Nach Zielpunkt-Pleite: Wird Kartellrecht gelockert?

Zielpunkt Stores As Austrian Retailer Files For Insolvency
Zielpunkt Stores As Austrian Retailer Files For Insolvency(c) Bloomberg (Lisi Niesner)
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Der Chef des Handelsverbandes, Rainer Will, ist skeptisch, ob branchenfremde Unternehmen problemlos die Standorte übernehmen können. Deshalb plädiert er für eine Änderung des Kartellrechts, um möglichst viele Jobs für Zielpunkt-Mitarbeiter zu sichern.

Wien. Nach der Zielpunkt-Pleite bemüht sich Masseverwalter Georg Freimüller, für so viele Filialen wie möglich neue Betreiber zu finden, um Arbeitsplätze zu erhalten. Der Chef der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), Theo Thanner, hat dabei keineswegs nur Lebensmittelhändler im Visier, weil dies kartellrechtliche Probleme aufwerfen könnte. Da sei der Markt ohnehin schon sehr stark konzentriert. „Wenn eine Schuhhandelskette die Filialen übernehmen würde, würde das nach unserem derzeitigen Wissensstand kein Problem darstellen“, sagte Thanner zum ORF.

Handelsexperten sind allerdings skeptisch, ob sich Branchenfremde um die 229 Zielpunkt-Filialen reißen werden. „Wenn die Anfragen branchenfremder Unternehmen nach Zielpunkt-Filialen hoch wären, brauchte es keinen Vorstoß zu kartellrechtlichen Änderungen“, meint Rainer Will, Geschäftsführer des österreichischen Handelsverbandes, im Gespräch mit der „Presse“. Grundsätzlich wäre laut Will nämlich eine natürliche Reduzierung der Verkaufsfläche in Österreich, wo auf jeden Einwohner umgerechnet 1,8 Quadratmeter Einzelhandelsfläche entfallen, durchaus angebracht. Das Land sei der Flächen-Europameister.

Außerdem seien viele Zielpunkt-Filialen gewachsene Lebensmittelstandorte, die für branchenfremde Unternehmen aufgrund der Größe und ihrer Lage nicht passend sind. Ein Problem sieht Will auch beim Personal selbst: Ein Großteil der Zielpunkt-Mitarbeiter sei sehr spezialisiert auf den Lebensmittelhandel ausgebildet und könnte in branchenfremden Unternehmen nur schwer Fuß fassen, glaubt der Experte. Damit steht er im Gegensatz etwa zum Zielpunkt-Eigentümer. Die Pfeiffer-Gruppe glaubt sehr wohl, dass die Mitarbeiter auch in anderen Bereichen arbeiten können.

Will berichtet jedenfalls vom Interesse eines deutschen Lebensmittelhändlers aus dem Biobereich, der die Übernahme einer niedrigen zweistellige Zahl an Filialen überprüft. Auch Lidl hat, wie Unternehmenschef Christian Schug der „Presse“ bestätigt, schon beim Masseverwalter Interesse für bestimmte Filialen bekundet.

Lidl prüft Übernahmen

„Bereits im Sommer haben wir zwei Zielpunkt-Filialen in Wien übernommen und nicht erst seit vergangener Woche einzelne Filialen genau analysiert. Natürlich werden wir uns auch jetzt alle infrage kommenden Standorte genau ansehen“, sagt Schug. Der Fokus liege dabei auf Wien, aber auch in den anderen Zielpunkt-Bundesländern Niederösterreich, Burgenland und der Steiermark würden Standorte geprüft. Das Hauptproblem der größten Insolvenz dieses Jahres bleiben in der Tat die 2700 Mitarbeiter, für die nach Lösungen gesucht wird. Deshalb, so der Vorschlag von Will, könnte man bei dem im Kartellrecht angeführten übergeordneten volkswirtschaftlichen Interesse ansetzen und eine Änderung der Regelung prüfen. Aus Wills Sicht sei dazu „nur“ eine Verordnung nötig. Dann sollten auch andere große Lebensmittelhändler zum Zug kommen können – mit einer Verpflichtung, die Mitarbeiter für zwölf oder 24 Monate behalten zu müssen. Damit könnte die Vorgangsweise wie bei der Dayli-Insolvenz vermieden werden, bei der zwar wieder 90 Prozent der Dayli-Mitarbeiter einen Job bekommen haben, aber eben erst nach zweieinhalb Jahren.

Generell werde es laut Will im Handel zu großen Veränderungen kommen. Schon jetzt seien 60.000 Beschäftigte arbeitslos. Insgesamt werden sich laut einer Untersuchung des Handelsverbandes bis 2020 von den 326.000 Beschäftigten im Einzelhandel etwa 80.000 verändern müssen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2015)

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