Kopf: „Unsere Grundwerte stehen nicht zur Debatte“

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AMS-Vorstand Johannes Kopf verteidigt die Geschlechtertrennung in den Kursen und widerspricht der ÖVP auch beim Thema Mindestsicherung.

Die Presse: Laut Niederösterreichs Vizelandeshauptmann Sobotka haben 95 Prozent der Afghanen und 77 Prozent der Syrer, die nach Österreich kommen, keine Ausbildung. Können Sie das bestätigen?

Johannes Kopf: Die Größenordnung stimmt. 92 Prozent der Afghanen und 70 Prozent der Syrer haben maximal Pflichtschule – das sind die neuesten Zahlen. Wobei wir das aufgrund der Sprachprobleme nicht genau wissen. Wenn wir uns mit der Person nicht verständigen können, wird oft „keine höhere Qualifikation“ eingetragen. Ein Gespräch, auch mit Dolmetscher, ist zu wenig. Deshalb haben wir vor zwei Monaten mit Kompetenzchecks begonnen.

Diese werden zunächst einmal vom Wiener AMS durchgeführt, für 1000 Personen. Wie laufen diese Checks ab?

Wir arbeiten mit den Menschen an ihrem Lebenslauf. Wenn jemand sagt, dass er Automechaniker ist, schicken wir ihn für zwei Tage in eine Werkstätte. Der Arbeitgeber gibt uns Feedback. Ich habe einen Schweißer kennengelernt, der hervorragend ist, aber nur zwei Techniken beherrscht. Bei uns muss man – so sagt man mir – zumindest fünf können. Um den Mann vermitteln zu können, müssen wir ihm drei weitere beibringen. Darum geht es.

Integrationsminister Kurz kritisiert, dass Frauen und Männer bei diesen Kursen getrennt werden. Das widerspreche den Grundwerten. Wie geht es Ihnen damit?

Ich ärgere mich, ehrlich gesagt. Hier werden die Motive des AMS Wien kritisiert, ohne sie zu kennen.

Was sind die Motive für die Trennung?

Keine integrationspolitischen. Das erste ist ein administratives. Wir haben viel mehr Männer als Frauen, das Verhältnis ist etwa 80 zu 20. In manchen Kursen wären dann nur eine oder zwei Frauen, da würden gewisse Themen zu kurz kommen. Das zweite ist ein frauenpolitisches. Frauen haben noch immer nicht die gleichen Chancen am Arbeitsmarkt, daher müssen wir uns intensiver um sie kümmern. Da geht es etwa darum, klassische Rollenbilder zu hinterfragen und Frauen auch für technische Berufe zu interessieren. Unsere Grundwerte stehen nicht zur Debatte.

Wie viele Analphabeten sind unter den Asylberechtigten?

Es wäre unseriös, eine Zahl zu nennen, bevor wir mit den Checks durch sind. Am 12. Jänner werden wir die Ergebnisse präsentieren. Vorläufig kann ich nur drei Dinge sagen: Wir glauben, dass wir die Qualifikationen unterschätzen. Syrer scheinen viel besser qualifiziert zu sein als Afghanen. Und die Leute, die zu uns kommen, sind absolut arbeitswillig.

Das AMS rechnet nächstes Jahr mit bis zu 35.000 Asylberechtigten. Wie viele können in den Arbeitsmarkt integriert werden?

International geht man davon aus, dass nach fünf Jahren 50 Prozent integriert sind. Das erscheint mir realistisch und auch gar nicht wenig. Zumal auch unter Österreichern die Quote bei über 70 Prozent und nicht bei 100 liegt.

Aber die Hälfte bleibt demnach Mindestsicherungsempfänger.

Integriert zu sein, heißt nicht nur zu arbeiten. Manche werden studieren wollen, andere die Alphabetisierung und den Hauptschulabschluss nachholen müssen. Wir werden mit jedem an seiner Integration arbeiten. Das halte ich für eine wirtschaftliche Notwendigkeit, weil es jedenfalls billiger ist, als ewig Mindestsicherung zu zahlen.

Derzeit sind rund 430.000 Personen in Österreich arbeitslos. Glauben Sie, dass es durch die Flüchtlinge zu einem Verdrängungswettbewerb kommen wird?

Wir rechnen nicht mit einem breitflächigen Verdrängungseffekt. Die Flüchtlinge können nicht Deutsch und sind im Schnitt schlechter ausgebildet. Daher werden sie zunächst einmal selbst arbeitslos sein. Das ist anders als etwa bei Zuwanderern aus Ungarn oder Deutschland, die jung und in der Tendenz besser qualifiziert sind als wir Österreicher.

Wenn es nach Ihnen geht, dürften bereits Asylwerber – zumindest jene, die gute Chancen auf ein Bleiberecht haben – schon nach drei Monaten arbeiten.

Das würde den Integrationsprozess beschleunigen. Leider wurde dieser Vorschlag von der Regierung nicht aufgegriffen – dafür aber ein anderer: Künftig soll es schon während des Verfahrens Deutschkurse geben. Ich habe einen Mann, der zwei Jahre in einem Flüchtlingsquartier verbracht hat, gefragt, was er dort die ganze Zeit gemacht hat. Er sagte: „Gewartet.“ Was für eine Verschwendung!

Wie bewerten Sie Österreichs Asylpolitik?

Die Regierung musste eine ausgesprochen schwierige Situation bewältigen, da maße ich mir kein Urteil an. Könnte ich mir eine einzige Maßnahme wünschen, wäre es eine massive Personalaufstockung für die Asylbehörden, damit die Verfahren schneller gehen.

Kann Österreich unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen?

Theoretisch könnte es sein, dass wir eines Tages wirklich nicht mehr können, aber wir sind noch lang nicht dort. Es ist unsere Verpflichtung zu helfen. Wir reden hier von einem Menschenrecht. Das einzuschränken, wäre etwas unglaublich Schwerwiegendes. Es wäre ein unendlich trauriger Tag.

Kurz will mit jedem Asylberechtigten einen Integrationsplan erstellen. Hält sich jemand nicht an die Vereinbarung, soll ihm die Mindestsicherung um die Hälfte gekürzt werden. Wäre das in Ihrem Sinne?

Das ist geltendes Recht. Wenn jemand nicht mit dem AMS kooperiert, melden wir das dem Land, das die Leistung um bis zu 50 Prozent reduzieren kann.

Die Flüchtlingskrise hat zu einer Grundsatzdebatte über die Mindestsicherung geführt. Die ÖVP sagt: Es gibt nicht genügend Anreize, sich wieder einen Job zu suchen.

Bei Alleinstehenden, die rund 830 Euro bekommen, ist der Unterschied zu einem Vollzeitjob-Einkommen ausreichend. Wenn man 1000 Euro verdient, klingt das nicht nach viel mehr, es ist aber viel mehr. Probleme gibt es bei der Mindestsicherung für Familien.

Können Sie uns ein Beispiel geben?

Eine Familie mit drei Kindern, die Mutter ist beim jüngsten daheim. Wenn der Vater nicht arbeitet, bekommt diese Familie 1800 Euro im Monat. Das entspricht einem Bruttogehalt von über 2700 Euro. Das kann der Vater, wenn er niedrig qualifiziert ist, nirgends verdienen. Man nennt das Inaktivitätsfalle.

Die ÖVP will die Mindestsicherung für Familien mit 1500 Euro deckeln.

Ich habe einen anderen Vorschlag: Man sollte einen Teil der Mindestsicherung eine Zeitlang weiter ausbezahlen, wenn jemand Arbeit annimmt. In Niederösterreich wird dieses Anreizmodell gerade getestet.

Was halten Sie vom Vorschlag, Teile der Mindestsicherung zweckgebunden zu vergeben – für das Wohnen, für Lebensmittel?

Das halte ich durchaus für vorstellbar. Aber man muss sich anschauen, ob die Verwaltung dann nicht zu aufwendig wird.

ZUR PERSON

Johannes Kopf ist – gemeinsam mit Herbert Buchinger – seit 2006 Vorstand des Arbeitsmarktservice (AMS). Davor war der Jurist im Kabinett von Arbeitsminister Martin Bartenstein (ÖVP). [ Fabry ]

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2015)

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