Nulldefizit 2016? Dem Fiskalrat fehlt der Glaube

Austrian Financial Minister Hans Joerg Schelling Presents Budget
Austrian Financial Minister Hans Joerg Schelling Presents Budget(c) Bloomberg (Akos Stiller)
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Die Wächter über die Staatsfinanzen warnen: 2016 wird die Maastricht-Vorgabe für das strukturelle Defizit mit 1,4 Prozent deutlich verfehlt. Die Gründe: zu optimistische Annahmen bei Steuerreform und Asylkosten.

Wien. Wenn der Fiskalrat in die Zukunft der Staatsfinanzen blickt, ist das Positive meist dünn gesät. Also ziehen wir es vor, damit es nicht untergeht: Die budgetäre Belastung durch Pleitebanken nimmt ab. Irgendwann sind eben alle Leichen aus dem Keller geholt, und der Abbau der Wertpapiere in den Bad Banks von Hypo und Kommunalkredit lässt die Schuldenquote sinken – wenn auch sehr, sehr langsam. Zudem wird Österreich im kommenden Jahr mit einem gesamten Budgetdefizit von 2,2 Prozent wenigstens unter der klassischen Maastricht-Grenze von drei Prozent bleiben.

Das war es dann aber auch schon mit den guten Nachrichten. Denn die vier anderen Vorgaben aus Brüssel werden verfehlt, warnen die Wächter über die Staatsfinanzen. Vor allem das strukturelle Nulldefizit, das mit 0,45 Prozent unter Null ohnehin großzügig definiert ist. Seit 2011 ging das strukturelle Minus, das vom Auf und Ab der Konjunktur und den „einmaligen“ Katastrophen im Finanzsektor bereinigt ist, kontinuierlich zurück, heuer liegt es tatsächlich nahe Null (siehe Grafik).

Zweifel an Kürzungen

(C) DiePresse

Dass es 2016, im ersten Jahr der Steuerreform, wieder schlechter wird, davon geht auch die Regierung aus. Aber das Finanzministerium zeigt sich optimistisch, die magische Grenze zwar zu kratzen, aber nicht zu überschreiten. Dieser Glaube fehlt schon in Brüssel. Doch dort geht es vor allem um die Feinheit, ob die Kosten für die Flüchtlingswelle sofort oder erst später als „außergewöhnlich“ gelten dürfen. Der Fiskalrat aber zeigt: Es geht um mehr. Mit minus 1,4 Prozent droht eine „erhebliche“ Abweichung. Die unerwartet vielen Flüchtlinge erklären nur rund ein Viertel des Defizits und ein Drittel der abweichenden Einschätzung. Zum größeren Teil geht es um die Wirkung der Steuerreform. Die bittere Ironie dabei: Bei der letzten Analyse richtete Bernhard Felderer als Präsident des Fiskalrats der Regierung aus, dass er nicht mit dem Erfolg der Betrugsbekämpfung als Teil der Gegenfinanzierung rechne. Diesmal übernimmt er, „obwohl die Zweifel geblieben sind“, die gesamten knapp zwei Mrd. Euro, die das Finanzministerium dafür ansetzt – und kommt dennoch zu dem schlechten Ergebnis.Die Gründe: Bei den Ausgabenkürzungen vertrauen die Wächter nur auf zwei Drittel von dem, worauf Finanzminister Schelling hofft. Vor allem die monetären Sozialleistungen, der bei Weitem größte Posten, steigen weiter kräftig an – viel zu kräftig, angesichts des schwachen Wachstums von rund 1,5 Prozent 2016. Bei den Steuereinnahmen gibt es heuer „Vorzieheffekte“: Wer von der Steuerreform negativ betroffen ist, durch höhere Steuern auf Kapitalerträge oder Grunderwerb, zieht Geschäfte vor, die im kommenden Jahr fehlen. Dazu kommt eine 400 Mio. schwere Sonderdividende aus Staatsbeteiligungen, die eingeplant ist, obwohl es dazu in der Koalition keine Einigung gibt.

„Wir brauchen Menschen“

Der Fiskalrat hat auch die Kosten der Flüchtlingswelle abgeschätzt(siehe Tabelle). Für heuer sind die Zahlen recht „hart“. Für 2016 hängt alles von der Zahl der Asylwerber ab. Die Schätzungen haben eine Bandbreite von 40.000 bis 130.000. Der Fiskalrat schreibt, mit 85.000 Anträgen, das heurige Niveau fort. Weil sich die Ankünfte über das Jahr verteilen und nur knapp die Hälfte einen positiven Bescheid erhält, sind für die Kosten die niedrigeren Ganzjahres-Äquivalente entscheidend. Während des Verfahrens bekommen Flüchtlinge eine Grundversorgung. Wer nach positivem Bescheid nicht gleich einen Job findet (was die Regel ist), hat Anspruch auf Mindestsicherung. Auffallend: Die Pro-Kopf-Kosten für unbegleitete Kinder sind wesentlich höher als für Erwachsene.

Dazu kommen Mehrkosten für Polizei, Heer und die Rechnungen von ÖBB und NGOs. Weil Letztere noch ausstehen, dürfte dieser Posten höher ausfallen. Auch die Ausgaben für Integrationsmaßnahen wie Schulungen laufen erst an.

In Summe ergibt das 0,7 Mrd. Euro für heuer und 1,7 Mrd. für 2016. Das entspricht 0,2 Prozent und 0,5 Prozent des BIP. Was davon abzuziehen ist: Die Ausgaben wirken wie ein kleines keynesianisches Konjunkturpaket, erklärt Felderer. Finanziert werden sie zu sehr niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt, eine Steuererhöhung ist nicht nötig, zu zahlen haben es „spätere Generationen“. Kurzfristig gibt es also einen „expansiven Effekt“, den der Fiskalrat mit 0,1 Prozent für heuer und 0,2 Prozent für kommendes Jahr ansetzt.

Felderer macht sich aber keine Illusionen: „Die Kosten werden in der Integrationsphase noch deutlich steigen.“ Der frühere IHS-Chef sieht die sprachliche und berufliche Ausbildung der Flüchtlinge als wichtige Investition: „Wir werden dringend Menschen brauchen.“ Denn das „knappste Gut der nächsten hundert Jahre“ seien Arbeitskräfte. Nicht nur Spitzenleute, „jede Qualifikation ist gefragt“. Als Ökonom fürchte er eine schrumpfende Bevölkerung: „Nur wo sie zunimmt, steigt die Produktivität und gibt es Fortschritt.“ Deshalb wächst gerade in Staaten mit starker Zuwanderung, wie den USA, Kanada oder Israel, auf längere Sicht auch die Wirtschaft dynamisch – selbst wenn das Pro-Kopf-Einkommen vorübergehend sinken mag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2015)

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