Kaltblütiger Racheakt bei Weihnachtsfeier löst Terroralarm aus

FBI and police investigator are seen around a vehicle in which two suspects were shot following a mass shooting in San Bernardino California
FBI and police investigator are seen around a vehicle in which two suspects were shot following a mass shooting in San Bernardino California(c) REUTERS (MIKE BLAKE)
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Ein Ehepaar richtete in Kalifornien ein Massaker an. Im Haus der Täter fand die Polizei ein Waffenlager und Rohrbomben.

Wien/Los Angeles. Südkalifornien war bis Mittwoch ein weitgehend weißer Fleck auf der mit roten Stecknadeln übersäten Landkarte der USA, in der Orte wie Blacksburg, Newtown, Littleton, Binghamton, Fort Hood, Tucson oder Aurora besonders gravierende Amokläufe der vergangenen Jahre markieren. Dies hängt auch zum Teil mit den relativ strikten Waffengesetzen im „Golden State“ zusammen. Im Lauf eines sonnendurchfluteten Nachmittags sahen sich die Bewohner San Bernardinos indessen in einen Actionfilm aus einer Produktion der Hollywood-Studios im 100 Kilometer entfernten Los Angeles versetzt. Das öffentliche Leben war stundenlang paralysiert, der San-Bernardino-Golfklub mutierte zum Feldlazarett, kreischende Sirenen, blinkende Blaulichter, Hubschrauber, Panzerfahrzeuge und Spezialkommandos mit Maschinenpistolen im Anschlag verwandelten die Stadt in eine Kriegszone.

Seit Syed Farook und Tashfeen Malik in Kampfmontur und mit schwarzen Masken und schweren Waffen gegen elf Uhr in eine Weihnachtsfeier des Inland Regional Center, einer Sozial- und Gesundheitsbehörde, platzten, ist nun auch die bankrotte, von Immigranten bevölkerte Stadt im Hinterland von Los Angeles in den Annalen registriert, in denen sie bisher vor allem als Geburtsort der Fast-Food-Kette McDonald's firmierte. Das Ehepaar, das Stunden später auf der Flucht im durchsiebten schwarzen Geländewagen nach einem Feuergefecht mit der Polizei starb, hatte ein Massaker mit vorläufig 14 Toten und 17 Verletzten angerichtet – heuer bereits die 355. Bluttat im Land mit mehr als vier Toten und nach den Amokläufen auf eine Kirche in Charleston in South Carolina, ein College in Oregon, ein Kino in Louisiana und eine Klinik in Colorado die schwerste.

„Material, um Bomben zu bauen“

Der 28-jährige Farook und seine 27-jährige Frau unterscheiden sich indes von den meisten ihrer Vorgänger, da sie nicht als Einzeltäter agiert und kein Bekenntnis oder sonstige Hinweise in den sozialen Netzwerken hinterlassen haben. Ihre Herkunft, ihre pakistanischen Wurzeln, ihr muslimischer Glaube und die konzertierte, offenkundig sorgfältig geplante Aktion ließen umgehend Terrorverdacht aufkommen. Im Haus des Paares fanden die Ermittler zwölf Rohrbomben. Außerdem seien Werkzeuge zum Bombenbau sichergestellt worden, sagte der Polizeichef von San Bernadino, Jarrod Burguan, bei einer Pressekonferenz am Donnerstag. „Sie hatten zusätzliches Material, um weitere Bomben zu bauen.“ Laut Burguan führten Farook und Malik mehr als 1600 Schuss Munition mit sich, als sie sich die Schießerei mit der Polizei lieferten. Die vier eingesetzten Schusswaffen habe Farook legal erworben. „Sie waren ausgerüstet“, sagte Burguan.

US-Präsident Barack Obama hielt es für „möglich“, dass die Bluttat im Zusammenhang mit Terrorismus verübt worden wurde. Mit Sicherheit wisse man es aber noch nicht. Auch der leitende FBI-Agent David Bowdich sagte bei der Pressekonferenz, es sei noch „viel zu früh“, über die Motive der Schützen zu spekulieren. Die Behörden schlossen einen terroristischen Hintergrund ebenso wenig aus wie einen Streit am Arbeitsplatz. Der TV-Sender CNN berichtete unter Berufung auf Ermittlerkreise, dass Farook telefonisch und über soziale Onlinenetzwerke mit Terrorverdächtigen in Kontakt gestanden habe. Offenbar sei er „radikalisiert“ gewesen, andere Motive wie Ärger im Job könnten aber auch zu der Tat beigetragen haben. Farooks Schwager und Vertreter muslimischer Verbände distanzierten sich sogleich von der Bluttat.

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Arbeitskollegen beschreiben den in Illinois in eine pakistanische Familie geborenen Farook als ruhig und unauffällig, als gläubigen Muslim, der seit fünf Jahren seiner Arbeit als Inspektor der Gesundheitsbehörde mit einem Jahreseinkommen von 71.000 Dollar nachging. Vor zwei Jahren holte er seine Braut aus Saudiarabien, die er über eine Online-Plattform kennen gelernt hatte. Mittwochfrüh verabschiedete sich das Paar unter dem Vorwand eines Arzttermins von Farooks Mutter, bei der sie ihre sechs Monate alte Tochter ließen. Stattdessen besuchte der 28-Jährige die Weihnachtsfeier im Inland Regional Center, die er laut Augenzeugen nach einem Disput verließ, um kurz darauf, zur Kampfmaschine mutiert, samt seiner Frau zu einem kaltblütigen Racheakt zurückzukehren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2015)

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