Kurpfuscherei mit Molière am Burgtheater

FOTOPROBE: 'DER EINGEBILDETE KRANKE'
FOTOPROBE: 'DER EINGEBILDETE KRANKE'APA/GEORG HOCHMUTH
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„Der eingebildete Kranke“. Herbert Fritsch macht aus dem letzten Werk des französischen Komödiendichters brachial eine Serie von Zirkusnummern mit deutschen Flachwitzen.

Für Burg-Schauspieler muss es eine unheimliche Versuchung sein: Einmal den Vorstadtwurstel raushängen lassen, einmal dem Publikum den blanken Hintern entgegenstrecken und dabei furzen, als befände man sich mitten in der preußischen Anarchie der Berliner Volksbühne. Was eignete sich dazu besser als ein Meisterwerk Molières, für dessen Demontage, pardon, Inszenierung man den einst wilden Racker Herbert Fritsch nach Wien holte? Der Schauspieler und Regisseur hat immerhin bei Direktor Frank Castorf in Berlin Karriere gemacht. Er kann doch einmal auch in Wien zeigen, was deutscher Humor vermag, wenn er französischen Esprit faschiert. Oder?

Ja, die Premiere von Molières „Der eingebildete Kranke“ am Samstag im Burgtheater war laut, ordinär und verspielt, gekünstelt wie gekonnt, manchmal treffend, stets mit billigen Gags garniert. Sie war vor allem laut und billig. Wesentlich ist jedoch, dass Fritsch eine Todsünde für Lustspiele begeht: Je länger es dauert (drei Stunden), desto mehr erschöpfen sich die immer gleichen Nummern mit der Cembalomusik, dem verrenkten Tanzen, den auf wenige Ausdrücke reduzierten Grimassen. Kurz: Schließlich breitet sich ein Ennui aus, der selbst Hypochonder, die glauben, an Bluthochdruck zu leiden, in einen todesähnlichen Zustand versetzen könnte.

Klistiere und andere tiefe Scherze

Bei diesem exzellenten Ensemble wäre doch einiges mehr an Überraschung drin gewesen. So aber bleibt eingebildeten Molière-Fans das schlechte Gewissen, dass sie unter ihrem Niveau gelacht haben. Gespielt wurde unter Hochdruck, mit ganzem Körpereinsatz, auch präzise und oft brachial. Wer würde nicht wenigstens gelegentlich über diese Parade an Knallchargen kudern, in dieser pechschwarzen Komödie? Sie hätte es jedoch auch in sich, haarscharf an der Tragödie vorbeizurasen. Davon hält die große Sause im Burgtheater geradezu krankhaft Abstand. Nur nicht nervös werden vor dem Abgrund!

Dabei beginnt das Spiel sogar vielversprechend, mit großartigen Soli und im Zusammenspiel von Joachim Meyerhoff als Hypochonder Argan und Markus Meyer als Dienstmädchen Toinette. Die von Fritsch gestaltete Bühne ist bis auf drei automatisch Barock-Trash spielende Cembali leer, die Kulissen zeigen Röntgenbilder mit menschlichen Knochen oder sind auch kurz grellbunt. Argan steckt im Souffleurkasten, erst sieht man nur seine wirre, wirklich infiziert aussehende Perücke. Mühsam quält sich dieser eingebildete Kranke hervor, rutscht auf dem Rücken liegend über den Boden. Er rechnet aus, wie viel er zuletzt für Klistiere, Zäpfchen und Rezepturen ausgegeben hat. Bald wird er nach Toinette rufen. Ein erbarmungsloser Machtkampf beginnt.

Der sensible Mann ist abhängig von Ärzten, die sein Verlangen nach Kranksein ausnutzen, abhängig von seiner zweiten Frau (Dorothee Hartinger), die auf sein Vermögen aus ist, abhängig vom Dienstmädchen, das ihn – zu seinem Vorteil – manipuliert. Argans Tochter, Angélique (Marie-Luise Stockinger), will Cléanthe (Laurence Rupp) heiraten. Doch der Vater hofft aus Eigennutz auf einen Arzt als Schwiegersohn. Sein Kandidat ist ein Dummkopf namens Thomas Diafoirus (Simon Jensen), aber so wie dessen Vater (Ignaz Kirchner) ist er Mediziner, wenn auch ein gefährlicher, mindestens so bedenklich wie der Doktor (Johann Adam Oest), der Apotheker und der Notar (beide Hermann Scheidleder, als der eine hochragend, als der andere ein wandelnder Spielball), die Argan abstieren.

Das Konzept ist einfach, wiederholt sich in Endlosschleife mit schrägen Tönen, seltsamer Gymnastik: Meyerhoff darf als trauriger Clown glänzen, Meyer als listiger, der Argans Pläne durchkreuzt. Die übrigen sind Karikaturen mit übertriebenen Macken, die Damen stecken gar in abenteuerlichen Rokoko-Barock-Kleidern aus Latexgummiplastik. Hartinger betont die Worte beharrlich falsch, Rupp schafft Einfalt durch einen seltsamen ostösterreichischen Dialekt, Stockinger benimmt sich wie eine Zappelphilippa, Marta Kizyma als ihre kleine Schwester wirkt so beschränkt wie Diafoirus jr. (sie werden sich finden). Und die Ärzte? Abziehbilder des Vampirs Nosferatu aus Murnaus Stummfilm. Viel Spielraum geben diese Klischees nicht. Solch närrisches Treiben lässt daran zweifeln, dass Argan durch Erkenntnis geheilt wird. Wie irre sagt er am Ende, in einen weißen Mantel aus Gummi gesteckt, zum Publikum: „Bitte aus dem Weg! Hier ist ein Arzt.“

„Der eingebildete Kranke“ wird in der Übersetzung von Sabrina Zwach gespielt. Kostüme: Victoria Behr. Musik: Ingo Günther. Weitere Termine: 8., 19., 21. und 31.Dezember, 6., 10., 18. und 31. Jänner, 3. und 5. Februar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2015)

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