Erwin Ortner übernahm die schwere Aufgabe, nach Harnoncourts Rückzug die Bach-Konzerte im Concentus-Musicus-Zyklus am vergangenen Wochenende im Wiener Musikverein zu leiten.
„Es spielt der Concentus Musicus unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt“. Diesen Satz wird man niemals wieder in einem Programm lesen. Die Hinzufügung des Namens war längst eine Fleißaufgabe, wer sollte den Concentus Musicus auch sonst dirigieren, wenn nicht sein Gründervater?
Ihm konnte das Alter – er feierte am Sonntag, dem Tag seines Namenspatrons, seinen 86. Geburtstag – lange Zeit nichts anhaben. Nikolaus Harnoncourt und der Concentus Musicus: Das war eine musikalische Idealpartnerschaft seit mehr als einem halben Jahrhundert.
„Glückliche Entdeckergemeinschaft“
Nun ist sie für das Publikum zu Ende gegangen. Dem Programmheft der Konzerte am Wochenende im Musikverein („Die Presse am Sonntag“ berichtete ausführlich) war die Kopie eines handschriftlichen Briefes des Dirigenten, nein, Musikers beigelegt. „Meine körperlichen Kräfte gebieten eine Absage meiner weiteren Pläne“, schrieb Nikolaus Harnoncourt an sein Publikum.
Eine „ungewöhnlich tiefe Beziehung“ habe sich zwischen Podium und Saal aufgebaut: „Wir sind eine glückliche Entdeckergemeinschaft geworden“.
In den Händen Erwin Ortners lag nun die so schwierige Aufgabe, die Concentus-Konzerte vom Samstag und Sonntag zu übernehmen. Die Überwindung war ihm und den anderen Mitwirkenden deutlich anzumerken. Freilich, der Leiter des Arnold Schoenberg Chores, mit dem Harnoncourt so lange so fruchtbar zusammenarbeitete, war auch prädestiniert dafür. Angesetzt war ein Bach-Programm, das das ganze menschliche Leben zu umspannen schien. Von der Geburt (diesfalls des Christuskindes, in der Kantate „Unser Mund sei voll Lachens“) bis zum Tod (diesfalls der Kurfürstin von Sachsen und Königin von Polen, in der „Trauerode“ BWV 198).
Den großen Abwesenden ehren
Unter der Leitung Erwin Ortners musizierte der Concentus Musicus so beredt und farbensatt, wie man es an diesem Klangkörper seit jeher so liebt; das Solistenquartett (Cornelia Horak, Sopran, Elisabeth Kulman, Alt, Werner Güra, Tenor, Florian Boesch, Bass) zog alle Register der Gesangskunst, von drastischer Einfärbung zentraler Wörter (Horak) bis hin zu balsamischen Linien in allen Lagen (Güra). Dass Erwin Ortners Schoenberg-Chor eine Klasse für sich ist, weiß ja Nikolaus Harnoncourt selbst am besten. Und so gelang das, was an diesem Abend zu leisten war: den großen Abwesenden zu ehren, wie es ihm gebührt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2015)