Mehr als eine Protestwahl: Frankreich ist unzufrieden

Marion Marechal-Le Pen ist die strahlende Wahlsiegerin des Front National im Süden Frankreichs.
Marion Marechal-Le Pen ist die strahlende Wahlsiegerin des Front National im Süden Frankreichs.(c) APA/EPA/JEROME ROUX
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Die Angst nach dem Terror von Paris hat dem Front National geholfen, doch es ist der generelle Zorn der Bürger über die Hilflosigkeit der Regierung, der die Rechten stark macht.

Zorn, Wut, Angst. Ist der Wahlsieg der Rechtspartei Front National bei den Regionalwahlen in Frankreich so einfach zu erklären? "Der Zorn der Bürger über die Machtlosigkeit und die Niederlagen der Regierungen der letzten Jahrzehnte hat sich langsam entwickelt, doch Präsident Francois Hollande hat das traurige Privileg, diesen Zorn zum Ausbruch gebracht zu haben", schreibt etwa die Pariser Zeitung "Le Figaro".

Viele Menschen haben die Ratlosigkeit der Regierung satt. Und da half es auch nichts, dass das Krisenmanagement von Präsident Hollande nach den Terror-Anschlägen von Paris große Zustimmung erhielt. Vom teils vor der Wahl herbeigeschriebenen Rückenwind für Hollande blieb am Wahlsonntag nichts übrig. Dabei waren 50 Prozent der Franzosen mit dem Handeln Hollandes nach den Anschlägen zufrieden, ein Vertrauensplus von 22 Prozentpunkten im Vergleich zur Umfrage im Vormonat.

Angst vor Islamismus

Doch auch wenn sich Hollande in den Augen vieler die vergangenen Wochen gut geschlagen hat, so werden seine Sozialisten dennoch für den Ist-Zustand Frankreichs mitverantwortlich gemacht, und dieser ist mit kaum kontrollierbaren Banlieues in den Ballungsräumen und deren islamistischen Tendenzen kein guter. Zweifellos hat sich die von der Furcht vor weiteren Terroranschlägen gedrückte Stimmung auf die Wahlen und auch auf die Beteiligung ausgewirkt. Die Wirtschaftsprobleme und die steigende Arbeitslosigkeit waren plötzlich etwas in den Hintergrund gerückt. Terror-Angst, Islamismus-Angst - das sind Themen für Populisten vom Front National (FN).

Und so sind auch die Umfragewerte des FN vor der Wahl noch gestiegen. "Die Partei, die von diesen Ereignissen profitiert, ist wirklich der FN, und zwar nach dem Motto 'Wir hatten es euch doch gesagt'", sagte Jean-Francois Doidot vom Meinungsforschungsinstitut Ipsos der Nachrichtenagentur Agence France-Presse.

Parteichefin Marine Le Pen, die muslimische Straßengebete einst mit der NS-Besatzung während des Zweiten Weltkriegs verglichen hatte, sah sich bestärkt in ihrem nationalistischen und einwanderungsfeindlichen Kurs, spätestens seitdem feststeht, dass mindestens zwei der Attentäter als Flüchtlinge nach Europa gekommen sind.

Gemäßigter Anstrich

Trotz vereinzelt heftiger Formulierungen von Marine Le Pen war es dennoch ihr Ziel, der Partei einen gemäßigteren Anstrich zu geben - ähnlich der Strategie der FPÖ in Österreich. Wer sich zu deutlich antisemitisch äußerte, wurde hart kritisiert, und wenn es ihr eigener Vater, Parteigründer Jean-Marie Le Pen, selbst war. Ihn hat Marine Le Pen mittlerweile aus den Schaltstellen der Partei entfernt. Der rechteste Flügel der Partei setzt seine Hoffnungen in Marines Nichte Marion Maréchal-Le Pen, die jüngste, aber auch radikalste Vertreterin der politisch aktiven Le Pens. Parteigründer Jean-Marie hatte seine Enkelin noch vor seinem Rauswurf aus dem FN als Spitzenkandidatin lanciert. In ihrer Region Provence-Alpes-Cote d'Azur lag Maréchal Le Pen mit knapp 41 Prozent deutlich vorne.

Die nach einer Reform Hollandes nur noch 13 Regionen sind innenpolitisch beinahe unbedeutsam, ihre Gremien mit wenig Macht ausgestattet. Doch der FN kann es bei der Stichwahl am kommenden Sonntag schaffen, Bedeutung und vor allem Wählbarkeit zu demonstrieren. Man will sich zu einer potenziellen Regierungspartei entwickeln. Marine Le Pen hat ihren Blick schon fest auf die Präsidentschaftswahl im Jahr 2017 gerichtet. Das französische Mehrheitswahlrecht war in der Vergangenheit stets eine Hürde für den FN. Doch die Politik von Hollandes Sozialisten und Sarkozys Republikanern ist so gegensätzlich geworden, dass eine Allianz der beiden Parteien gegen eine mögliche Stichwahl-Gegnerin Le Pen in einer möglichen zweiten Präsidenten-Wahlrunde unsicher scheint.

Sarkozy gegen Bündnis mit Sozialisten

Das zeigt sich schon bei der Stichwahl der Regionalwahlen am kommenden Sonntag. Alle Parteien, die im ersten Wahlgang zehn Prozent erreichten, dürfen noch einmal antreten. Sarkozy will keine Bündnisse mit den Sozialisten schmieden, der FN hat also reelle Chancen, mehrere Regionen endgültig für sich zu entscheiden. Die Sozialisten wollen in zwei Regionen im zweiten Wahlgang hingegen nicht mehr antreten, wie Parteichef Jean-Christophe Cambadelis am Montag im französischen Sender RTL sagte.

Man könnte die Regionalwahlen nun als kleine Protestwahl abtun, als den erhobenen Zeigefinger des französischen Volkes in Richtung Regierung. Man könnte sagen, zwei Drittel der Franzosen haben ohnehin nicht den FN gewählt. Doch das wäre zu einfach. "Marine Le Pen verändert das politische Paradigma eines Gründungslandes der Europäischen Union", schreibt die Turiner Zeitung "La Stampa". Beide Le-Pen-Aushängeschilder haben in ihren Regionen mehr Stimmen erreicht als Sozialisten und Republikaner gemeinsam. Das ist bei weitem keine übliche Protestwahl. Frankreich bewegt sich, Frankreich ist unzufrieden und die Regierung hat derzeit keinen Plan dagegen.

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