Sicherheit: Waffentragen wird eingeschränkt

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Polizisten bekommen selten die Erlaubnis, die Waffen außer Dienst zu tragen. Auch sonst werden weniger Waffenpässe vergeben. Und die EU-Kommission will Privaten halb automatische Waffen verbieten.

Wien. Können mit Schusswaffen ausgestattete Bürger bei Abwesenheit von Sicherheitskräften Anschläge wie in Paris verhindern oder zumindest die Opferzahl verringern? „Die Presse“ druckte jüngst einen Gastkommentar des Rechtsanwalts Raoul Wagner, der das glaubt. Das Leserinteresse war groß, die Reaktionen höchst unterschiedlich.

„Presse“-Recherchen ergaben indessen, dass der Staat und seine Organe offenbar wenig Freude mit bewaffneten Bürgern haben: Trotz eines formal vergleichsweise liberalen Waffenrechts erteilen die Behörden hierzulande auch Exekutivbeamten keine Genehmigung mehr, privat Feuerwaffen zu tragen.

„Es ist sehr schade, dass man auf dieses Potenzial verzichtet“, sagt René Neuberger, leitender Kriminalbeamter in Wien, auch ehrenamtlicher Gewerkschaftsfunktionär. Jahrzehntelang bekamen Polizisten, die während der Arbeit als zuverlässig genug gelten, um Waffen zu tragen, auch privat einen Waffenpass ausgestellt. Das Dokument erlaubt dem Inhaber genehmigungspflichtige Waffen – z. B. eine Pistole – nahezu überallhin und verdeckt mitzunehmen. Seit einiger Zeit ist das anders. „Die Jungen“, sagt Neuberger, „bekommen von der Behörde praktisch ausnahmslos keine Waffenpässe mehr.“ Dabei könnten Beamte, die außerhalb des Dienstes bewaffnet sind, viel zur öffentlichen Sicherheit beitragen und in gefährlichen Situationen sofort einschreiten, meint er.

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Auch bei einfachen Bürgern geht der Staat seit einiger Zeit restriktiver mit der Vergabe von Pässen um. Das Recht zu Notwehr und Nothilfe erlaubt bei Gewalt- und Eigentumsdelikten Privatleuten theoretisch mehr als Polizisten das Waffengebrauchsrecht. Und laut Waffengesetz haben Antragsteller beim Nachweis eines Bedarfs – etwa einer individuellen Bedrohung – einen Anspruch auf die Ausstellung eines Waffenpasses. Allerdings: Die zuständigen Bezirkshauptmannschaften erkennen inzwischen solche Gründe seltener an. Der „Presse“ liegt der Fall eines Justizwachebeamten vor. Er leistet seinen Dienst in einem Hochsicherheitsgefängnis und wurde von Mitgliedern einer aus der Verbrechensberichterstattung bekannten Bande mehrfach bedroht. Betroffen waren auch Familienmitglieder. Er suchte bei der Bezirkshauptmannschaft um einen Waffenpass an. Unterstützung bekam er vom Anstaltsleiter, der in einem amtlichen Schreiben an die BH den bewaffneten Selbstschutz seines Mitarbeiters als notwendig bezeichnete. Die Behörde stellte sinngemäß fest, dass der Beamte nicht mehr gefährdet sei als jeder andere.Anwalt Raoul Wagner, der in ähnlicher Sache einen Mitarbeiter einer polizeilichen Sondereinheit vertritt, meint dazu, dass die Behörden Nebensätze in Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs so interpretieren, dass praktisch keine Waffenpässe mehr ausgestellt werden. Und er vermutet, dass es politische Anweisungen gibt, entsprechende Anträge grundsätzlich abzuweisen. Konkretes, sagt Wagner, wisse er dazu jedoch nicht.

EU-Kommission will Verbot

Die Daten aus dem Innenministerium könnten für seine Vermutung sprechen. 1994 waren in Österreich 107.448 Waffenpässe im Umlauf. Aktuell (Stichtag: 1. November) sind es 73.603. Das ist ein Rückgang von 32 Prozent. Während der Staat das Führen von Waffen immer mehr einschränkt, veröffentlichte die EU-Kommission fünf Tage nach den Pariser Anschlägen einen Vorschlag, der auch den Besitz legaler Waffen einschränken soll. Angekündigt wurde das völlige Verbot halb automatischer Feuerwaffen – dazu gehören auch Pistolen – für Bürger. Als Begründung diente der Einsatz von Kriegsmaterial bei den Anschlägen in Paris. Vollautomatische Waffen, wie sie die Terroristen in Paris verwendet haben, sind legal nicht erhältlich.

Dabei haben Österreicher – was nur wenige wissen – einen Rechtsanspruch darauf, zum Zweck der Selbstverteidigung halb automatische Waffen zu besitzen, nicht aber in der Öffentlichkeit zu führen, dafür braucht man einen Waffenpass. Für den Besitz reicht eine Waffenbesitzkarte (WBK), die eine Schulung und ein psychologisches Gutachten voraussetzt. Nach Jahren des Rückgangs stieg die Zahl der WBK-Inhaber in den ersten elf Monaten erstmals wieder leicht an (plus zwei Prozent). Die Vermutung liegt nahe, dass dies mit der Terrorbedrohung zu tun hat.

Grüne warnen vor mehr Waffen

Österreichs Grüne sprechen in einer parlamentarischen Anfrage von einer „besorgniserregenden Entwicklung“ und fordern Gegenmaßnahmen. Ganz anders sah das 2013, nach dem Terroranschlag in Nairobi, der damalige Interpol-Generalsekretär, Ronald Noble. Er nannte zwei Möglichkeiten, um sogenannte weiche Ziele besser zu schützen: massive Sicherheitsschleusen oder zuverlässige Zivilisten Waffen tragen zu lassen.

AUF EINEN BLICK

Minus ein Drittel. 1994 waren in Österreich 107.448 Waffenpässe im Umlauf. Zum Stichtag 1. November 2015 waren es 73.603. Das ist ein Rückgang von 32 Prozent. Die Behörden vergeben Waffenpässe nur mehr sehr restriktiv; Polizeibeamte kritisieren, dass auch sie privat oft keine Waffe tragen dürfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2015)

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