Wir machen die Fliege

Das Revival der Schluppenbluse führt unweigerlich zu einer Frage: Wie, bitte sehr, bindet man eine ordentliche Schluppe?

Die Schluppenbluse ist das wahrscheinlich einzige Kleidungsstück der Modegeschichte, das einfacher anzuziehen ist als das männliche Äquivalent. Während eine Bindeanleitung für die männliche Fliege nur den avanciertesten Autoren gelingen kann, ist das weibliche Pendant schnell erklärt: schlupp, schlupp, schlupp, schlupp fertig! Im Gegensatz dazu ist die Geschichte der Schluppenbluse jedoch überaus komplex. Ein Schmetterling für den König. Es fing schon kompliziert an. Hätte König Ludwig XIV. nicht so viele Kriege geführt und hätte er dazu keine Söldner aus Kroatien gebraucht, hätte die Krawatte ( la cravate: nach kroatischer Art) nie das Gefallen des exzentrischen Sonnenkönigs finden und dort nie zur Schluppe umfunktioniert werden können. Um Letzteres zu bewerkstelligen aber, so geht die Mär, waren zärtliche Frauenhände vonnöten. Die elegante Mätresse des Sonnenkönigs, Herzogin Louise de Lavalli re, soll so lang mit den am königlichen Hals herabhängenden Schleifen gespielt haben, bis daraus ein Schmetterling wurde.

Bis aus dem Schmetterling-Halstuch eine Schleifenbluse für Frauen wurde, mussten allerdings ein paar königliche Köpfe fallen und ein neuer Geist in Europa einziehen. Erst im Biedermeier nämlich betrat die weibliche Bluse als Zitat des männlichen Hemdes die Bühne. Verspielter und mit einer weich fallenden Schleife, für deren korrekte Bindung man keinen Valet brauchte. Sie spazierte damit ja auch nicht ins Kontor oder verspielte auf der Börse Tausende von Gulden. Während der Blütezeit des Raubtierkapitalismus saßen die Frauen schön brav zu Hause und versteckten ihre Ambitionen hinter Stickrahmen, Babygeschrei, Korsett und Schleifchenbluse.
Jedes Kleidungsstück hat freilich seine Zeit. Und die Zeit der Schluppenbluse war die Zwischenkriegszeit. Die Frauen der Mittelschicht blieben nicht mehr länger zu Hause. Sie hätten es sich auch gar nicht leisten können. Der immer größer werdende Dienstleistungs- und Verwaltungssektor brachte nun auch gut ausgebildete Frauen in Berufen, die früher nur Männern vorbehalten waren. Keine Modeschöpferin hat diesen Trend besser verstanden oder eleganter umgesetzt als Gabrielle Chanel. Das einfache, raffiniert geschnittene, kleidsame Wollstoffkostüm, kombiniert mit einer leichten Schluppenbluse aus Chiffon, wurde für Heerscharen von jungen weiblichen Angestellten der Look der neuen Zeit und zur Uniform für den Frauenberuf schlechthin: das Bürofräulein.

Miss Moneypenny und Joan Holloway. Das Bürofräulein wurde, wie die zerstörten Städte und Fabriken, nach 1945 restauriert, aber es bildete nicht mehr die Avantgarde weiblicher Selbstständigkeit. Sondern verkam zur blassen Schwester der Frau, für die in unzähligen Filmen jener Zeit das Happy End vorgesehen war: hübsch, unselbstständig, unbedarft. Die Schluppenbluse hingegen wurde zum Markenzeichen der langweiligen Misses Moneypenny dieser Welt, der grauen Büromäuschen, die James Bond nicht haben, sondern nur seine Hemden in die Wäscherei bringen konnten.

Kein Wunder, dass unsere Mütter keine Schluppenblusen trugen, wenn sie in den 1970ern auf die Straße gingen, um für die Fristenlösung zu demonstrieren oder in der Studentenkommune freie Sexualität praktizierten. Seit damals hat sich die Schluppenbluse für Jahrzehnte auf die Schneideanleitungen in den Handarbeitsheften braver Pfarrersköchinnen zurückgezogen. Und heute? Wenn Gucci in diesem Modeherbst mit sexy Schluppenblusen überrascht hauchzart, vollkommen transparent und hochgeschlossen mit einer akkuraten Schleife, dann ist eines klar: Brav schauen wir damit nicht aus. Jedenfalls nicht braver als Christine Hendricks, die als Chefsekretärin Joan Holloway in der berühmten US-TV-Serie "Mad Men" Männerkarrieren mit einem einzigen Hüftschwung beenden konnte.

Die lässigen, elegant beanzugten, nicht politisch korrekten Männer und die sexy Frauen in figurbetonten, fantastisch geschneiderten Kostümen, die vor allem eines wollen: von der Tippmamsell zur Mrs. Boss avancieren, wurden so beliebt, dass sie einen wahren Retro-Boom auslösten.
Ist es die Sehnsucht nach alten Rollenmustern, die uns wieder zur Schluppenbluse greifen lässt? Sicher nicht die nach alten Hierarchie- und Ausbeutungsverhältnissen, aber vielleicht die nach mehr Erotik im Büro als wir erleben, wenn wir mit Jeans, Laptop und Headset mit den Kollegen von Home-Office zu Home-Office Dateien austauschen. Aber man darf sich von der Mode und ihrer Zeichenhaftigkeit natürlich nicht zu viel erwarten. Vielleicht gefällt uns die Schluppenbluse einfach deshalb, weil sie uns daran erinnert, wie wir jedem neuen Modetrend begegnen sollen: mit geeignetem Stoffmaterial, geschickten Fingern und einer gehörigen Portion Selbstironie.

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