Die EU-Abgeordneten gaben den Widerstand gegen die Fluggastdatenspeicherung auf. Nun rütteln die EU-Regierungen auch an der geplanten Datenschutzverordnung.
Brüssel. Name, Adresse, Telefonnummer, Kreditkartendetails, Reiseroute, Gepäcks- und Ticketinformationen: Flugpassagiere und ihre Daten sind in den Fokus der Sicherheitsbehörden geraten. Nach den USA wird auch die EU eine systematische Speicherung von Fluggastdaten einführen. Das Europaparlament, das seit zwei Jahren Widerstand geleistet hat, ist nach den Terrorangriffen in Paris eingeknickt. Nach einem Beschluss der EU-Innenminister vergangene Woche hat am Donnerstag auch der zuständige Innen- und Justizausschuss im Europaparlament grünes Licht gegeben.
„Wir erleben gerade, dass die anlasslose Datenspeicherung nach den Anschlägen von Paris zum Heilsbringer geworden ist“, kritisiert Jan Phillip Albrecht im Gespräch mit der „Presse“. Der grüne Abgeordnete kämpft seit rund fünf Jahren für einen besseren Datenschutz in der EU und sieht sich einem wachsenden Druck von Sicherheitsbehörden und Unternehmen ausgesetzt, die alle einen möglichst ungehinderten Zugang zu personenbezogenen Massendaten fordern.
Rund 500 Millionen Euro wird laut Schätzung der EU-Kommission das europaweite System der Fluggastdatenspeicherung kosten. Es soll die Reisetätigkeiten von Terroristen und kriminellen Banden nachvollziehbar machen. „Wir konnten heute eine ganz entscheidende Hürde im Kampf gegen den Terrorismus nehmen“, freute sich der ÖVP-Europaabgeordnete Heinz Becker. Die Europäische Volkspartei (EVP), der er angehört, war zuletzt massiv für den Zugriff auf Passagierdaten eingetreten. Auch die meisten Sozialdemokraten hatten im Ausschuss letztlich für den Datenzugriff gestimmt.
Fraglich ist nur noch, ob der Europäische Gerichtshof die Speicherung stoppen wird. Denn er hat sich im April 2014 schon einmal gegen eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung (Telekom-Daten) ausgesprochen. Die damalige Begründung der Richter war, dass eine Verhältnismäßigkeit zwischen einem geringen Mehr an Sicherheit und einem solchen systematischen Eingriff in die Privatsphäre nicht gegeben sei.
Für eine Speicherung spricht, dass bereits mehrfach – etwa bei dem Anschlag auf die Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ – solche Vorratsdaten den Ermittlern geholfen haben, Komplizen ausfindig zu machen. Dagegen spricht, dass bisher durch solche Daten weder in den USA noch in Europa ein Anschlag verhindert werden konnte. Viele der Terroristen waren den Sicherheitsbehörden lange vor ihren Anschlägen bekannt. Albrecht argumentiert deshalb auch, dass es sinnvoller wäre, die hohen Kosten der Massendatenspeicherung „besser in Ermittlungsmaßnahmen zu stecken“.
Regeln für Datenweitergabe
Nicht nur Sicherheitsbehörden, sondern auch private Unternehmen wünschen sich einen möglichst ungehinderten Zugriff auf personenbezogene Daten. Von den Terroranschlägen beeinflusst werden könnte denn auch eines der bisher größten Datenschutzprojekte der EU: die Datenschutzverordnung. Noch im Dezember soll es eine Einigung zwischen EU-Regierungen und EU-Parlament geben. Fünf Jahre wurde bereits über diesen Rechtstext verhandelt. Facebook und Google liefen Sturm gegen die Neuregelung, denn ihr Geschäftsmodell ist auf die ungehinderte Weitervermarktung persönlicher Daten ausgerichtet.
Jan Philipp Albrecht hat als Berichterstatter im Europaparlament den Werdegang der neuen Verordnung begleitet. Von Beginn an erlebte er Widerstand von Lobbyisten großer Internetkonzerne und von einzelnen EU-Ländern wie Irland, die durch ihr geringes Datenschutz-Niveau Internetunternehmen anzulocken versuchten. Nach und nach konnte er zwar die meisten Abgeordneten sowohl aus dem linken als auch aus dem rechten Lager auf seine Seite bringen. Ob diese breite Front allerdings auch in diesen Tagen hält, ist fraglich. Kommenden Dienstag soll die letzte Verhandlungsrunde stattfinden. Längst laufen neue Versuche vor allem von einigen EU-Regierungen, die strengen Regeln aufzuweichen.
Kern der Verordnung, die künftig eine einheitliche Regelung in allen 28 Mitgliedstaaten bringen soll, ist mehr Selbstverantwortung der Konsumenten. Sie sollen vor einer ungewollten Weitergabe ihrer Daten durch Internetdienste geschützt werden. Die Nutzer sollen aber auch ein Recht auf Löschung ihrer Daten erhalten. Außerdem sollen sie auf eine mögliche Nutzung ihrer Daten durch Dritte konkret hingewiesen werden und diesem Vorgang explizit zustimmen. „Daten sind zu einer Währung im Internet geworden“, sagt Albrecht und kritisiert, dass bisher niemand „das Preisschild gezeigt hat“. Konsumenten würden in Gratisdienste – von sozialen Medien bis zu Virenschutzprogrammen – gelockt und nicht darüber informiert, dass sie diese Leistung mit der Freigabe ihrer Daten bezahlen.
Aufgeweicht wurde im Verordnungstext bereits der ausdrückliche Hinweis auf den Schutz von Arbeitnehmerdaten. Diese Maßnahme sollte die systematische Speicherung und Weitergabe von Daten zur Gesundheit und Leistungsfähigkeit von Arbeitskräften unterbinden. Infrage gestellt wurde außerdem laut Albrecht das sogenannte Koppelungsverbot, das verhindern soll, dass personenbezogene Daten für sachfremde Dienste genutzt werden können.
Größter Streitpunkt zwischen den Verhandlern aus dem Europaparlament und den EU-Regierungen sind aber die Sanktionen gegen jene Internetunternehmen, die sich nicht an die Verordnung halten. Das Parlament hat hohe Strafen von bis zu fünf Prozent des Jahresumsatzes gefordert, die EU-Regierungen verlangen deutlich geringere. Ihnen geht es vor allem darum, solche Unternehmen nicht davon abzuschrecken, im europäischen Binnenmarkt zu investieren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2015)