Roboter rotieren, Menschen polieren

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In Sunderland, England, steht eines der größten Autoproduktionswerke Europas. Eine Reihe von Nissans wird dort hergestellt. Und als erster Infiniti der neue Q30.

Alles dreht sich, alles bewegt sich. Stählerne Arme bugsieren Chassis-Komponenten heran, fixieren sie auf Eisengestellen. Stählerne Ärmchen schnellen hervor, setzen an den Schweiß- und Klebepunkten an. Und schon befördert das Band die entstehende Rohkarosserie weiter. Die nächsten Bauteile sind bereits platziert. Das geht im Sekundentakt. Ebenso schnell kommt Nachschub aus dem Presswerk.

Kaum ein Mensch ist zu sehen, und wenn, dann tippt er etwas in einen Computer. Kaum ein lauteres Geräusch ist zu vernehmen, nur verhaltenes Schleifen, Zischen und Wischen. Es ist taghell drinnen, im Kontrast zum dämmrigen Novembertag draußen. Es ist blitzsauber, penibel aufgeräumt, nahezu geruchlos. Weder fallen Ölflecken ins Auge, noch kugeln Metallspäne herum, noch sticht Benzindampf in die Nase – auch kein Lösungsmittel-Odeur: Die Lackierstraße ist hermetisch abgeschirmt.

Mit der „Verheiratung“ von Chassis und Antriebsstrang kommen mehr Menschen ins Produktionsspiel. Bei der Inneneinrichtungsmontage rotieren keine Roboter mehr, es gibt menschliche Bewegung. Sobald ein Fahrzeug in der Endfertigung anlangt, treten von Menschenhand geführte Wisch- und Poliertücher in Aktion.

In all dem unterscheidet sich die Nissan Motor Manufacturing (UK) Ltd. in Sunderland, Nordostengland, nahe der Grenze zu Schottland, nicht wesentlich von anderen modernen Autofabriken. Hier wie dort sind Sägenkreischen, Bohrmaschinenpfeifen, Presslufthämmern und Spritdampfen in den Hintergrund getreten. Doch es ist mit rund 25.000 Quadratmetern verbauter Fläche eine der drei größten Fahrzeug-Produktionsstätten in Europa. Dort laufen derzeit die Nissan-Modelle Leaf, Note, Juke und Qashqai vom Band, von Letzterem übrigens alle 62 Sekunden ein Exemplar. Seit 3. Dezember haben sie Gesellschaft: den Q30, den ersten Kompakten der Nissan-Nobelmarke Infiniti.

Er ist der erste Infiniti, der in Europa hergestellt wird. 250 Millionen britische Pfund wurden dafür investiert, 400 neue Beschäftigte aufgenommen und tausend Mitarbeiter ausgebildet.

Damit ist Sunderland eines von momentan vier Werken, in denen Infinitis montiert werden. Weitere stehen in Japan, China und den USA, demnächst kommt Mexiko dazu. Der Fokus liegt derzeit auf dem europäischen Standort. Damit will man auf dem Alten Kontinent Fuß fassen. Deshalb ist es gerade der Q30, der als Kompakter punktgenau in den Markttrend passt. Erst recht in seiner Ausrichtung als Cross-over zwischen Hatchback und Soft-SUV. Er entstammt einer Kooperation zwischen Daimler und dem Renault-Nissan-Konzern. Er ist ein enger Verwandter der Mercedes-A-Klasse, jedoch kein reiner Klon, wie sich bei der Fahrvorstellung jüngst gezeigt hat. Das soll er auch nicht sein: Roland Krüger, Präsident der Infiniti Motor Company, dazu: „Wir bekommen die Teile von Daimler und machen unser eigenes Auto daraus.“

Im Q30 steckt sehr viel Mercedes und am wenigsten Nissan von allen aktuellen Infiniti-Modellen. So aufgestellt rechnet sich die Edelmarke von Nissan ernsthafte Chancen aus, auch in Österreich zu reüssieren. Hierzulande ist Infiniti seit 2010 präsent, mit einem Standort nahe Wien. Das soll sich 2016 ändern. Angepeilt werden Verträge mit weiteren vier Partnern (voraussichtlich Innsbruck, Salzburg, Graz, Linz). Die Verhandlungen laufen auf Hochtouren. Denn, so Vizepräsident François Goupil de Bouillé, verantwortlich für die Marktentwicklung und das Wachstum in Europa: „Österreich ist für uns ein interessanter und wichtiger Markt.“ Er rechnet sich gute Chancen im kompakten Premium-Segment aus, lässt sich jedoch nicht im Ansatz auf Prognosen ein. So oder so dürfte es nicht abwegig erscheinen, das heuer bis Ende November erreichte Absatzvolumen von 25 Fahrzeugen übertreffen zu können. Denn punkten kann der globale Japaner mit europäischen Eigenschaften, dazu Eigenständigkeit, Verarbeitungsqualität, Komfort und einer weniger exklusiven Preisgestaltung, als es die Exotik seiner Marke vermuten ließe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2015)

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