Der gravierende Webfehler des Steuersystems

Wenn Kollege Roboter die Arbeit übernimmt, hängt die an den Lohnkosten festgemachte Staatsfinanzierung in der Luft.
Wenn Kollege Roboter die Arbeit übernimmt, hängt die an den Lohnkosten festgemachte Staatsfinanzierung in der Luft.(c) REUTERS (Issei Kato)
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Zwei Drittel der Staatsfinanzierung basieren auf der Besteuerung von Arbeit. Nagt die digitale Revolution an der Basis, drohen Staatspleiten .

Wirtschaftsforscher gehen davon aus, dass uns die „Steuerreform“ genannte Teilabgeltung der kalten Progression wegen der höheren Massenkaufkraft einen zusätzlichen Wachstumsimpuls von 0,4 BIP-Prozentpunkten bescheren wird. Das ist eine Annahme, die mit Sicherheit nicht eintreffen wird, weil alle möglichen Gebietskörperschaften bereits dabei sind, die kleine Steuersenkung durch Steuer- und Abgabenerhöhungen wieder zu kompensieren. Das dringend reformbedürftige Steuersystem wird damit noch zersplitterter, unübersichtlicher und natürlich kostspieliger. Bund, Länder und Gemeinden sehen Steuererhöhungen ja immer noch als brauchbare Alternative zu Ausgabenreformen.

Und übersehen dabei, dass nicht nur die Steuerlast am Anschlag steht, sondern das gesamte Steuer- und Abgabensystem nicht mehr zukunftsträchtig ist. Es hat einen entscheidenden Webfehler: Es basiert fast ausschließlich auf der Besteuerung menschlicher Arbeit. Das gesamte Sozialsystem (und mit ihm auch gleich noch das Kammersystem) hängen an lohnabhängigen Abgaben. Und mit der Lohnsteuer (rund ein Drittel des Bundessteueraufkommens) und der Kommunalsteuer (ein wesentlicher Teil der Gemeindefinanzierung) werden zwei weitere wesentliche Steuerposten an den Löhnen bemessen. Insgesamt hängen also deutlich mehr als zwei Drittel der Staatsfinanzierung an lohnabhängigen Steuern und Abgaben.

Ein gutes Konzept für eine Industriegesellschaft mit Werkshallen voller fleißiger Arbeitsameisen. Aber ein schlechtes für das, was jetzt gerade in Gang kommt: Die vierte industrielle Revolution. Alle reden von der Digitalisierung und Automatisierung der Produktion, aber nur wenige von den Auswirkungen auf die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt.

Zum Beispiel über diese: Laut einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim sind knapp 60 Prozent der knapp 31 Millionen deutschen Arbeitsplätze mittelfristig durch die voranschreitende Roboterisierung bedroht. Der Personalchef von VW wurde neulich in der „FAZ“ damit zitiert, dass allein in seinem Unternehmen in Deutschland 50.000 Produktionsjobs komplett wegfallen können. Der Grund: Ein Produktionsroboter koste drei bis sechs Euro je Stunde, ein VW-Arbeiter das Zehnfache.

Das heißt jetzt nicht, dass wirklich 18 Millionen der Arbeitslosigkeit anheimfallen. Es entstehen durch die Digitalisierung ja auch eine Reihe von neuen, hoch qualifzierten Jobs. Aber eben nicht genug. Selbst wenn als Nettoeffekt nur 20 oder 30 Prozent verlorene Jobs übrig bleiben, hat ein zu zwei Dritteln über die Besteuerung von Arbeitskosten finanzierter Staat ein ganz ernstes Finanzierungsproblem. Von den gesellschaftlichen Auswirkungen einer solchen Massenarbeitslosigkeit einmal ganz zu schweigen.

Diese Entwicklung zur Automatisierung (die auch Dienstleistungsunternehmen wie etwa Hotels erfasst) ist nicht aufzuhalten. Im Gegenteil: Wenn wir weiter in der ersten Wirtschaftsliga mitspielen wollen, sollte man sie sogar umfassend fördern. Man sollte aber meinen, dass parallel dazu eine wirklich ernsthafte Diskussion über Themen wie Verteilung der Arbeit und Umbau des Steuersystems weg von der Arbeitsbesteuerung in Gang kommt. Tut sie aber nicht. Offenbar ist das alles zu tabubelastet.

Was man bisher so zu hören bekommt ist auf der einen Seite Jubel darüber, dass man bald Produktionen aus Asien wieder zurückholen könne, weil Roboter ja da wie dort das Gleiche kosten. Um den Rest sollen sich andere kümmern. Und auf der anderen Seite der starke Wunsch, eine simple Maschinensteuer auf eines der teuersten Steuersysteme der Welt einfach draufzupappen – und damit wirklich noch die letzten verbliebenen Produktionsbetriebe zu vertreiben.

Andere sind da schon weiter: Finnland beispielsweise wird es ab dem kommenden Jahr versuchsweise mit einem bedingungslosen Grundeinkommen probieren, die Schweizer werden darüber, wahrscheinlich auch im kommenden Jahr, abstimmen – und es ebenso wahrscheinlich ablehnen. Sie werden damit nicht ganz falsch liegen, denn das Problem ist damit ja nicht gelöst: Auch das BGE muss finanziert werden. Und wenn die Finanzierung wieder traditionell über Arbeitskosten erfolgt und diese Basis wegbricht, dann stehen wir wieder am Anfang.

Reden wird man in erster Linie einmal über die Ausgestaltung der Sozialsysteme müssen. Wenn sieben Prozent der Weltbevölkerung, die 25 Prozent des globalen BIPs erwirtschaften, 50 Prozent der globalen Sozialleistungen konsumieren (und auch bezahlen), dann wird sich das auf Dauer nicht ganz ausgehen. Reden wird man auch über neue Arbeitsmodelle müssen. In stark konsumgetriebenen Wirtschaftssystemen ist es auf Dauer kein nachhaltiges Modell, den größeren Teil der Bevölkerung zu präkarisieren.

Und reden wird man ganz ohne ideologische Scheuklappen über die künftige Finanzierung eines dann notwendigerweise verschlankten Staates müssen. Und da muss man ganz ehrlich sagen: Wenn die Arbeit als Finanzierungsbasis wegbricht, bleiben die Wertschöpfung und der Konsum übrig. Es wird also notgedrungermaßen zu einer Form der wertschöpfungsbezogenen Besteuerung kommen müssen. Und zwar zumindest auf europäischer Ebene. Und es wird höhere Konsumsteuern (diskutiert wird da über die Mehrwertsteuer) geben. An beiden führt kein Weg vorbei, wenn wir halbwegs stabile Gesellschaften erhalten wollen.

Und jetzt sollte man mit der Diskussion beginnen, wie man das ausgestaltet, ohne die Industrie, die ja in globaler Konkurrenz steht, umzubringen oder zu vertreiben. Darüber hört man noch verdammt wenig, obwohl es deutlich wichtiger ist als die heiß diskutierten Ampelpärchen.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2015)

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