Wieder wurde in Israel eine Terrorzelle des IS entdeckt. Die Armee probt den Ernstfall: einen Angriff aus dem Sinai. Die Gefahr eines Angriffes durch den IS sei real, sagen Experten.
Jerusalem. Der bärtige Mann hat den Arm in die Luft gestreckt, in der Hand ein Messer. Sein Gesicht in dem Video ist verpixelt, doch seine Worte auf Hebräisch mit leicht arabischem Akzent sind deutlich: Bald soll es keine Juden mehr in Jerusalem geben. „Meine Nachricht an die Offiziere und Soldaten und alle Juden: Wir werden euch mit Gottes Hilfe bekämpfen, wir werden von überall auf der Welt herkommen und euch wie die Schafe schlachten.“
Mit diesem Video drohte der sogenannte Islamische Staat vor einigen Wochen Israel, es war das zweite dieser Art. Tatsächlich ist Israel längst nicht mehr nur von herkömmlichen Feinden wie der Hamas im Gazastreifen oder der Hisbollah im Libanon umgeben, sondern mittlerweile auch von den Kämpfern des IS in Syrien und den Anhängern von Wilayat Sinai in Ägypten, einer Terrororganisation, die sich dem IS angeschlossen hat.
Die Gefahr eines Angriffes durch den IS sei real, sagen Experten, auch wenn Israel nicht ganz oben auf der Agenda der Terrorgruppe steht. „Nicht, weil sie uns nicht so sehr hassen, sondern weil sie noch so viele andere Feinde haben und gleichzeitig nur begrenzte Ressourcen. Sie können nicht überall gleichzeitig kämpfen“, analysiert Yoram Schweitzer, Terrorismusexperte am Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Israel und Berater für Strategien der Terrorbekämpfung im Büro des Premierministers.
Doch der Fokus auf Israel verstärke sich, vor allem seit einem Jahr, erklärt Aviv Oreg, Gründer der Beratungsfirma Ceifit, die sich mit dem globalen Jihad befasst. „Die arabischen Israelis, die noch vor einem Jahr nach Syrien gingen, wollten gegen das Assad-Regime kämpfen. Seither hat sich die Agenda verändert, es geht mehr um Israel und den Nahostkonflikt, sie wollen Kampferfahrungen sammeln, um sie dann gegen Israel anzuwenden.“ So hätten die Männer in den Videos in perfektem Hebräisch gesprochen – ein Hinweis darauf, dass es sich um arabische Israelis handelt. Bisher sind einige Duzend nach Syrien und in den Irak gegangen.
Dass Israel mehr und mehr zum Ziel des IS wird, hat einen einfachen Grund: Den jüdischen Staat zu bedrohen oder gar anzugreifen könnte dem IS mehr Unterstützung von Muslimen weltweit bringen. „Israel ist der ultimative Feind der gesamten muslimischen Welt. Mit Israel als Angriffsziel will der IS seine Popularität steigern, denn bisher fehlt ihm die Unterstützung der Massen “, so Aviv Oreg.
Kampf um den Tempelberg
Dabei spielt auch der Kampf um den Tempelberg eine Rolle, der einer der Gründe für die Messerattacken auf Israelis in den vergangenen Wochen ist. Der IS nutzt die aufgeheizte Stimmung um den heiligen Hügel in der Altstadt, wo der Felsendom und die Al-Aksa-Moschee stehen, für seine Zwecke. Schweitzer: „Es wäre unnatürlich, wenn sie auf diesen Zug nicht auch aufspringen würden.“
Angriffe aus dem Inneren scheinen möglich, obwohl die Zahl der IS-Unterstützer in Israel gering ist. Erst am Dienstag wurde bekannt, dass der Inlandsgeheimdienst Shin Bet fünf arabische Israelis verhaftet hat, die versucht haben sollen, eine Terrorzelle in Israel aufzubauen. Die Männer aus Nazareth sollen sich zunehmend radikalisiert haben, dem IS die Treue geschworen und das Training mit scharfer Munition begonnen haben.
Dass aber auch Angriffe von außen wahrscheinlich sind, zeigte ein Armeetraining vergangene Woche im Süden des Landes: Israelische Streitkräfte haben in einer überraschenden Übung die Kampffähigkeit der Soldaten in extremen Situationen wie einem Angriff von Kämpfern des Islamischen Staates an der Grenze zum Sinai getestet. Teil der Übung waren Raketenangriffe, der Einfall von Terroristen in Dörfer sowie der Beschuss auf und die Entführung eines Soldaten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2015)